8. Jahresbericht der k. k. Realschule in Steyr, 1878

10 — von ihm abstehen. Das zu diesem Zwecke am häufigst verwendete Garn ist schwach gedrehtes Mulegarn und zwar Nr. 16—20 für Talgkerzen, Nr. 30 bis 40 für Stearinkerzen. Früher wurden die Dochte nur gedreht, wie es auch noch jetzt bei Talg und Wachskerzen der Fall ist, die einzelnen Baumwollfäden liegen dabei, eine steile Spirale beschreibend, neben einander. Cambacérés verbesserte die Dochte durch das Flechten derselben. Unter dem Einflusse der Spannung, in welcher sich die einzelnen Baumwollfäden des zopfartig geflochtenen Dochtes befinden, erleidet das aus der Kerzenmasse hervorragende Ende desselben eine Krümmung, welche seine Spitze stets ausserhalb der Flamme hält und in der Luft rasch verglimmt. Für bessere Kerzensorten werden die Dochte auch noch präparirt: sie werden zu diesem Zwecke zuerst in eine stark verdüunte Schwefelsäure (3—5 pro Mille) getaucht, um sie mürbe und leichter verbrennlich zu machen, weil der bei einer un¬ vollständigen Verbrennung des Dochtes entstehende Kohlenrückstand die Capillarwirkungen des Dochtes bedeutend abschwächt; hierauf mit einer Borsäurelösung getränkt, welche dann mit der beim Verbrennen des Dochtes entstandenen Äsche eine Glasperle bildet, die sich beim Herausragen des Dochtes aus der Flamme abkühlt und herabfällt; man erspart bei solchen Kerzen das lästige „Putzen“. Bolley empfiehlt als eine billige Dochtbeize eine Salmiaklösung von 2 bis 3° B. Beim Anzünden einer Kerze brennt zuerst der Docht, welcher durch seine Hitze einen Theil des Leuchtmaterials schmilzt, es bildet sich an der Oberfläche der Kerze sogleich ein kugelig vertiefter Napf, da der von unten an der Kerze aufsteigende kalte Luftstrom die Oberfläche der Kerze und den Rand des Napfes abkühlt, so dass derselbe weniger einschmilzt als die Mitte desselben. Dieser Napf füllt sich mit dem geschmolzenen Leuchtmateriale. Wirkt aber auf die Kerze ein seitlicher Luftstrom ein, so dass die Flamme nach irgend einer Seite getrieben wird, so schmilzt daselbst der Rand des Napfes ab, wird schief und das Materiale tropft ab. — Durch die Haarröhrchenthätigkeit des Dochtes wird der geschmolzene Brennstoff in die Höhe gezogen und erleidet in der Flamme eine Art trockener Distillation, wodurch sich brennbare Gase, hauptsächlich Kohlenoxyd und Kohlenwasserstoffe bilden, welche aufsteigen und verbrennen. Bläst man die Kerzenflamme vorsichtig aus, so kann man die noch einige Zeit lang aufsteigenden Gase durch einen brennenden Körper bis auf 7 Cm. Entfernung anzünden. Man kann desshalb die Be¬ leuchtung mit Kerzen und Lampen, womit diese auch gespeist sein mögen als eine Gasbeleuchtung im weiteren Sinne auffassen. Der ganze Unterschied läuft einzig darauf hinaus, dass bei der Kerze und Lampe die Gaserzeugung und Consumtion gleichzeitig vor sich gehen, während bei der eigentlich sogenannten Gasbeleuchtung beide durch Zeit und Raum weit von einander getrennt sind. Während dort der Docht die Stelle der Retorte und der Gasleitungsröhren vertritt, nehmen diese hier zu ihrer Herstellung bedeutende Kosten in Auspruch. Man sollte daher glauben, dass die Gasbeleuchtung

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