80 Jahre Bundesgewerbeschule Steyr

tendcnzcn berücksichtigt und betont. Bei der Kürze der Zeit und der Vielfalt des dem Studierenden zu vermittelnden Wissens kann der Unterricht in diesem Gegenstand naturgemäß nur enzyklopädisch betrieben werden, wobei aber doch getrachtet wird, einfachere Aufgaben völlig durchzurechnen und bei schwierigeren wenigstens das Problem als solches aufzuzeigen. Damit ist aber schon viel gedient. Der Studierende geht wenigstens nicht mehr ahnungslos an vielen Problemen vorbei und hat Richtlinien für ein späteres Selbststudium, wenn es nötig ist. Um den Leser einen kleinen Blick in den Unterricht tun zu lassen, zeigt das nachfolgende Bild die Gegenüberstellung von drei Trägern, die in Gemeinschaftsarbeit vom diesjährigen Maturajahrgang in allen Einzelteilen durchgerechnet und dann als Unterrichtsmodelle angefertigt wurden. Unten ist ein gewöhnlicher Walzprofil-Träger zu sehen, für den zur gegebenen Belastung die Biegemomente und Biegespannungen, Querkräfte und sich bloß eine Mücke draufsetzt!" In diesen Worten steckt ein tiefer Sinn. Was dem oberflächlichen Beschauer als tote, in selbstverständlich hingenommenem Gleichgewicht erstarrte Materie erscheint, dahinter fühlt und erkennt der geschulte Techniker ein sinnvolles Spiel und Gegenspiel oft gewaltiger Kräfte, an welchem jeder Stab, jeder Niet, ja jedes Atom teilnimmt und teilnehmen muß, wenn das ganze Bauwerk seiner Bestimmung gerecht werden soll. Um dem Studierenden dieses Gefühl für die inneren Zusammenhänge zu vermitteln, gibt es kaum einen besseren Weg als den, daß der Schüler eine von ihm selbst in allen Einzelheiten berechnete Konstruktion durch der eigenen I fände Arbeit Wirklichkeit werden sieht. Dieser Gedanke lag auch der Anfertigung der drei abgebildeten Träger zugrunde. So lernt der künftige Konstrukteur die Dynamik eines technischen Gebildes an einfachen Beispielen bis ins letzte erfassen und jedes Element in seiner Bedeutung würdigen. Ist es denn schließlich nicht Gesamtbe/astung : 71 2 m Spannweite E^P auch im staatlichen Gefüge ganz ähnlich wie bei Bauwerk? Ist Staatswesen die gebunden, daß Maschine oder nicht auch im Stabilität daran jeder einzelne TräS Drei statisch gleichwertige Trager seinen Teil an der gemeinsamen Aufgabe voll erfüllt? Innere Ver- i pflichtung der guten staatlichen Führung muß es sein, die Lasten gerecht auf Starke und Schwache zu verteilen, so, wie der Ingenieur seine Aufgabe als gelöst betrachten darf, wenn alle Teile seines Bauwerks die ihnen zugeteilten Lasten verläßlich aufnehmen könneu. Eine zu g e r i n g e lastung einzelner Elemente deutet in der Technik wie Staat unnützen Ballast für Ganze. Aber auch zu h Bebeim Schubspannungen und die Durchbiegungen rechnerisch und zeichnerisch bestimmt wurden. Darüber sieht man einen Rohrträger, als räumliches Fachwerk ausgebildet, völlig geschweißt. Das Gewicht hat sich auf mehr als die Hälfte vermindert. Der Cremona-Plan, die Einflußlinien und der Ver- schicbungsplan wurden zur vollständigen Analyse des Fachwerks konstruiert. Schließlich sieht man oben einen Kastenträger aus Leiehtmctall in typischer Leichtbauweise, nämlich einen sogenannten Wagnerschen Schubfeldträger, mit mehrfacher Überschreitung der kritischen Beul- spannung unter Belastung. Der 'Präger wiegt nur mehr rund ein Fünftel des Walzprofiles gleicher Tragfähigkeit. Ein hervorragender Professor an der Technischen I lochschule in Wien pflegte seinen Hörern gerne zu sagen: „Das geistige Auge des Maschinenbauers muß sogar sehen, wie sich eine Brücke durchbicgt, wenn Beanspruchungen, die nur kurzfristig ohne Nachteil erträglich sind, führen in der Technik wie im Staate nach gewisser Zeit unweigerlich zur Katastrophe. Sache des Lehrers muß es sein, nicht durch allzu trockenen Vortrag abzuschrecken, sondern über den notwendigen Einzelheiten die großen Zusammenhänge nicht zu vergessen. Spannend, erregend und beglückend muß es der Schüler empfinden, durch den Geist die Materie immer wieder besiegen, überlisten, beherrschen zu lernen. Schwierigkeiten sollen ihm nur zu neuem Ansporn, Erreichtes nur Vorstufe für Vollkommeneres werden. Bis zum Erringen einer solchen inneren Einstellung gehört viele ehrliche Arbeit. Dem Lehrer obliegt dabei die schöne und verpflichtende Aufgabe, in seinen Schülern die Flamme der Begeisterung für den gewählten Beruf zu entzünden und so stark zu entfachen, daß alle unvermeidlichen Schwierigkeiten und Rückschläge des späteren Lebens sie nie mehr ganz zu ersticken vermögen. 43

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