75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

wir das kostbare, aus dem Stifte Garsten stammende Chorgestühle des alten Domes und freuen uns des quellenden Wachstums der Dreifaltigkeitssäule oder der derben Wucht, mit der sich der gedrungene Eckturm des ehemaligen Mondseer Stiftshauses der Stadtpfarrkirche schräg gegenüberstellt. Doch von weit größerer Bedeutung für den Gesamteindruck unserer Städte war ein anderer Beitrag jenes Jahrhunderts: das Verkleiden der Häusergiebel durch waagrechte Mauerblenden, die jede Erinnerung an das gotisch Strebende zu überdecken suchen und so auch den Gassen der Linzer Altstadt und dem weit umschließenden Rechteck des Haupt¬ platzes eine südliche Note geben. Haben so Stadt und Patrizierhaus an dem allgemeinen Kunstschaffen teil¬ genommen, so sind doch die eigentlichen Träger und Bewahrer des barocken Kultur¬ erbes die großen Klöster des Landes. Sie hüten einen kaum zu überblickenden Neichtum an Kunstgebilden, die nicht nur an sich bedeutsam sind, sondern die uns gleichsam in das Herz und Wesen jener festlich beschwingten, schwärmerisch rommen, kühn ausgreifenden Zeiten zurückgeleiten. Wir erleben in diesen Hallen und. Sälen Österreichs Heldenzeitalter von neuem mit, es regt sich in diesen Gestaltungen etwas von den großen Entwürfen des Prinzen Eugen, es weht durch diese belebten Formen ein Hauch der gläubigen Zuversicht, die Österreichs siegreiche Fahnen nach Osten und Westen trug. Unendlich reich ist der Schatz der Formen, über mehr als zwei Menschenalter erstreckte sich die Blüte der Kunst. Sakral und feierlich mutet der schwere Prunk der Kirche von Schlierbach an, das goldene Haus Marias, fast beengt durch den trotzenden Reichtum seiner Verzierungen. Um wieviel heller, freudiger die Stifts¬ kirche von St. Florian. Weiß erheben sich die Pfeiler mit den Halbsäulen, aus denen Akanthus schwankt. Weiß sind die Balkone mit ihren hängenden Draperien Weiß sind die weit in den Raum hineingestuften Gesimse, über denen, wie nach dem Schweigen eines erwartungsvoll vorgeneigten Augenblicks, die Wölbung ihren Rhythmus beginnt. Vermittelnd nach oben weisen von der Balustrade des west¬ lichen Chores die silbernen Reihen der großen Orgel. Ewig schimmernd bauen sich die Deckengemälde aus lichtem Ocker, gedämpftem Not und rötlichem Lila. Zart und vorsichtig erklingt zuweilen ein helles Blau. Sattblau rauschen Gewänder von Heiligen. Aber über alle Farbentöne herrscht ein goldenes Braun. So taut von der Wölbung ein gleichsam innerliches Leuchten herab. Der Naum erhebt sich über das Weiß der Wände zur Farbigkeit, wie ein bereister Wintertag in einen glühenden Abend mündet. Und ein Menschenalter später: die Kirche von Wilhering. Die Wendung zum Nokoko hat sich vollzogen, alles löst sich ins Leichte, schwebend Verklärte auf. Der Innenraum der Kirche gemahnt an das rosige Dickicht blühender Apfelbäume. Aus dem kühl umschließenden Dunkel des Eingangs entwölbt sich die Flucht der Lauben. Weiße und graue Pilaster versprühen in goldene Blätterknäufe, die hrerseits tragen an dem zinnoberroten Band des Gesimses, das die Kronen der himmlischen Bäume an ihren Säumen zackig zusammenfaßt. Dreimal falten sich Blütensäle, gleiten ineinander, reichen sich weiter an die Glut des Altares. Drei¬ mal sammelt sich in der Schale der Wölbung erblauende Himmelstiefe. Aus dem ersten Saale wird Maria über der hochgestuften Treppe der Heiligen durch zer¬ trümmerte Wolkenmauern in die Helle hinaufgetragen. So steil und jäh, daß ihr Aufstieg dein Haupt zurückbiegt wie das der Apostel an ihrem verwaisten Grab. 27

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