75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Netze seiner Gewölbegurten. Noch immer empfängt in der Stadtpfarrkirche in Wels den aus der Tageshelle Kommenden das mystische Dämmerlicht, das durch die in Edelsteinfarben glimmenden Fenster des Presbyteriums sickert, noch immer — sammelt in Braunau der gewaltige Turm die Kraft seiner Pfeiler und stößt ins Unendliche vor. jenseits aller Wahrscheinlichkeit — Und wie reich ist das Land an Schätzen bildender Kunst aus der Zeit der Gotik. Die beiden großen Schnitzaltäre zu St. Wolfgang und Kefermarkt gehören in ihrer strebenden Fülle und ragenden Einheit, in ihrer vollendeten Reife und Meisterschaft, nicht unserm Lande allein, sie gehören zum wesentlichen Bestande der deutschen Kunst, aber außer diesen bedeutsamen Kulturschätzen gibt es so — manches scheu gehütete Kleinod sei es nun ein ganzer Flügelaltar oder eine einzelne Figur — an Orten, wo es schwerlich jemand vermuten würde, in einen stillen Bergtal wie die Madonna von Frauenstein oder auf einsamer Berghöhe wie der Schnitzaltar in der Kirche von Rauhenödt. Auch zum Bild der Städte hat die Gotik noch beigetragen, zumal in Steyr, wo sie nicht nur die Giebelseite der Häuser emporsteilte, sondern auch den schattigen Frieden der engen Höfe mit Galerien eigenwillig gekerbter Säulen umgürtete Die Renaissance schuf nur einzelne, aber bedeutsame Zeugen städtischen Wohl¬ standes, wie den weithin beherrschenden Stadtturm von Enns und das Linzer Landhaus mit seinem marmorverkleideten Nordportal und den Arkaden des Hofes. Nur wenige Bauten sind es, die uns die Neformationszeit hinterlassen hat, denn sie gab sich völlig den Kämpfen des Tages oder doch ihres Jahrhunderts hin, und erst, als die Gegenreformation gesiegt hatte, regten sich — werbend, bezaubernd und ungestüm — die Kräfte der neuen Kunst, die nach bisher unerhörten Wir¬ kungen strebte: das Barock trat hervor und bestimmte bald in steigendem Maße das Kulturgepräge des ganzen Landes, sowie es sich heute noch vor uns kundtut. Eine Gestaltungswelle von einheitlicher Stärke und langer Dauer durchströmte das Österreich Leopolds I. und des Prinzen Eugen, und wenn es ihr auch nicht immer gelang, die alten gotischen Grundmauern völlig zu unterspülen und abzu tragen, so ließ sie doch selten ein bedeutsames kirchliches oder weltliches Bauwerk unberührt, sondern sie zwang ihm die neue Sprache der Formen auf und behing es mit den Draperien und Schleifen, den Blumen- und Früchtekränzen eines türmischen Kunstwillens So kommt es, daß die meisten unserer Städte und Märkte, von eigenwillig geschwungenen Turmhelmen überragt, ein barockes Gepräge tragen. Nicht an letzter Stelle die Landeshauptstadt selbst, wo die Turmbekrönungen der Stadt¬ pfarrkirche und des Landhauses mit den grünen Helmen des alten Doms und den festlich geschweiften Turmhauben der Ursulinenkirche so harmonisch zusammen¬ klingen. Auch sonst birgt Linz noch manches Vermächtnis aus jener Zeit. Es bietet sich meist nicht offen an, es will gesucht werden. Aber wer mit empfänglichen Augen durch die engen Straßen der Altstadt wandert, den spricht da und dort ein feierliches Portal, ein geschwungener Fensterrahmen, ein behäbig gerundeter Erker an, und dem Suchenden begegnen Schöpfungen großer Barockmeister wie der von Prandtauer erbaute Bischofshof, die von Hildebrandt entworfene Seminarkirche, die Altarblätter von Kremser- Schmidt in der Minoritenkirche oder Raphael Donners Standbild des hl. Johann von Nepomuk an der Stadtpfarrkirche. Freilich bedarf die Leistung des Meisters des gefeierten Namens nicht. So bewundern 26

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