75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Schriftstellerin Caroline Pichler noch an das Vorbild der Wielandschen Brief¬ romane an, so kam mit der Oxforder Bewegung und den Erzählungen „Hypathia von Kingsley (1853), der „Fabiola“ (1855) von Kardinal Wiseman, die auch die Geschichte der heiligen Agnes und des heiligen Sebastian, zweier Grundtypen der Handel-Mazzetti: Jungfrau und christlicher Krieger verwertete, und mit der „Kallista“ des Kardinals Newman (1856) das Thema des Glaubensstreiters neu zur Geltung, nun in streng geschichtlicher Fassung auf Akten und Ausgrabungs¬ ergebnissen errichtet. Und die Linie riß kaum mehr ab bis zur Jahrhundertwende, mochte auch später der Nachdruck mehr auf die heidnischen Gestalten gelegt werden. Diesen Weg hat Handel-Mazzetti nur in ihrer jugendlichen Verarbeitung der Agnes-Legende betreten. Da war weiterhin die Reformationszeit und die Epoche der Gegenreformation, in der zwei Bekenntnisse sich wütend bekämpfen, das eine zunächst im siegreichen Vordringen, das andere fast im Aussterben begriffen, bis es sich ermannt und in bestimmten Gegenden seinerseits die Führung erringt, beide ihre Erfolge nicht ohne Heranziehung politischer Faktoren erkämpfend, beide oft grausam und brutal in ihrer Art, beide verbissen in ihrem Haß und in wetteifernder Machtgier. In olcher Zeit gab es Schwung und Größe, Aufgewühltheit, Kampf und Not, all das dankbar für einen Dichter. Da war ferner die Ablösung durch die Aufklärung, Deismus, wenn nicht Atheismus gegen rechtgläubiges Kirchentum. Aber mit dem Sieg der Aufklärung wird die Verflachung immer größer. Bekenntnisgegensätze treten in ihrer Be¬ deutung zurück, das Glaubensmotiv erscheint säkularisiert, es tritt aus dem religiös kirchlichen Bereich ins Weltliche über, aus der confessio in die professio. Es ist nicht nur eine Frage des Geschmacks und der Vorliebe, in welche Zeit ein Dichter seine Handlungen und Gestalten verlegt, denn immer wird eine Epoche besonders geeignet zur Verkörperung seiner Ideen und Grundanliegen erscheinen. Das Ur-Erlebnis der Handel-Mazzetti ist die Liebe im christlichen Sinne der Caritas, die bei aller Katholizität doch über dem Trennenden der Bekenntnsse stehl und sie im Christlichen zusammenschließt. Die Los von Nom - Bewegung im Gefolge der Politik Georg von Schönerers und die damit zusammenhängende Protestantenwerbung in Österreich am Ende des 19. Jahrhunderts legte die Wahl des konfessionellen Zwiespaltes als dichterisches Thema nahe. Und da bot sich am plausibelsten die Geschichtsepoche der Gegenreformation mit ihren rohen Eingriffen ins Privatleben, ihrem furchtbaren Grundsatz vom Recht des Herrschers, die Neligion seiner Untertanen zu bestimmen, den erzwungenen Auswanderungen, den gegenseitigen Verletzern, dem Hang zu äußerlichem Prunk, zur großen Ge¬ bärde, zur Grausamkeit und Übersteigerung Die Wahl des Barock erscheint bei Handel-Mazzetti also innerlich bedingt, denn hier konnte sich ihre Grundveranlagung ausleben. Schon im „Meinrad der ja noch mehr am Nande der Epoche spielt, wo Barock und Aufklärung auf¬ einander stoßen, dann aber in den folgenden Nomanen bis zur „Stephana' wuchtet diese schwungvolle Barockgebärde. Und daß die Handlung in den Bereich der heimischen Landschaft verlegt wurde, daß Kremsmünster, die Wachau, das alte Steyr Schauplatz war, gab den Vorteil, heimische Menschen schildern zu können, vertraute Gegenden und Menschentypen, bei denen ein „Treffen“ im Sinne der damals geltenden Wirklichkeitskunst erleichtert schien. Immer wieder 152

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