75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

sondern aus anderen Gründen gemordet wird, wenn sie auch zum Opfer des Lebens bereit ist, so hat er doch die Wunderwirkung des Heiligen. Und bewußt wird sie als Heilige bezeichnet und gezeichnet. Märtyrerin ist die kleine Nita, ebenso wie Else Walch und Maria von Bronnen. Qualvolles dulden aber nicht nur die echten Blutzeugen, sondern auch Gestalten, wie etwa Maria Schinnaglin im „Jesse“ die schwer unter ihrem Gewissenskonflikt leidet, ja auch der kleine Edwin Mac Endoll, die arme Margaret die Frau Tessenburgs, Cornelia de Vryn und manche andere, bei der sich das Leiden hauptsächlich auf das Seelische erstreckt Aus dem Märtyrermotiv aber erwuchs der Dichterin das Motiv der Gottes¬ braut, verdeckt noch im „Jesse“, zu stürmischer Pracht entfaltet in der „Stephana“, ins moderne Leben übertragen in Nita Kürschner, dann in Else Walch und in Maria von Bronnen, bei der aber zur himmlischen Liebe doch auch die Treue der irdischen dem armen Günther gegenüber tritt. Motive scheinen etwas Zufälliges, Stoffbedingtes. Wenn sie sich bei einem Dichter aber immer wiederholen, abwandeln und häufen, so kann man in ihnen etwas Wesentliches erblicken. Bei Handel-Mazzetti werden die tragenden Motive, die ihre Werke nicht nur zu Gruppen, sondern übergreifend zu noch höheren Ein¬ heiten zusammenschließen, ausdrücklich in zwei Titeln herausgehoben: der 3. Band der „Stephana“ heißt: „Jungfrau und Märtyrin“, der 3. Band der Sand-Trilogie: „Das Blutzeugnis“, so wie der Titel: „Der deutsche Held“ wieder im Untertitel des 1. Bandes von „Graf Reichard“ anklingt: „Der Held vom Eisernen Tor“ Bewahrung und Bewährung immer wieder. Bewahrung der kindlichen Un¬ schuld und Reinheit, Bewährung in allen Stürmen des Lebens, damit ist das Motiv der Zeugenschaft umrissen, wie es die Dichterin bereits in einer frühen Ge¬ staltung der „Agnes-Legende“ „Die Braut des Lammes“ durchzuführen suchte. Auf Agnes wird dann mehrfach in der „Stephana“, im Sandroman, in Nitas Briefen hingedeutet. Dazu kommt der ganze Vorrat kirchlicher Gebete, Vor¬ stellungen und Niten, die immer wieder befruchtend wirken, dazu endlich, worauf die Dichterin in der Einleitung zur Günther-Novelle selbst als Erklärung für ihre Martenszenen verwiesen hat, die Passion Christi, die unmittelbar bereits die Dar¬ stellung von Günthers Tod und schon viel früher die Folter des Mac Endoll mit¬ gebildet hat. Stoffe suchen ihre Dichter und ihre Formen. Seelische Haltung sucht den Stoff, in dem sie sich ausprägen kann. Die krassen, gewaltsamen Dinge sind in der Gegenwart — oder waren in einer früheren Gegenwart — nicht so recht möglich. Märtyrer gab es in den Kulturländern der modernen Zeit nicht mehr wie auch keine Wunder. So mußte der gläubige Dichter, wenn er nicht einem verwässerten Sonntagschristentum das Wort reden wollte, Themen des Glaubens und der Überzeugung bis zum Blutopfer in der Vergangenheit ansiedeln, um sie glaubhaft zu machen. Dazu boten sich bestimmte Zeitalter wie von selbst. Da war einmal die untergehende Antike mit dem aufblühenden Christentum. Sienkiewicz hatte noch 1896 mit seinem Noman aus der Zeit Neros: „Quo vadis? einen Welterfolg errungen. Und Sienkiewicz stand in einer langen Tradition. Denn der frühchristliche Noman war vom barocken Märtyrerstück, von Gryphius und den Ordensdramen und Corneille her mit der Wendung zum historischen Roman bald beliebt geworden. Schloß auch der „Agathokles“ (1808) der Wiener 151

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