Festschrift zur Kirchweihe Steyr-Tabor 1975

DDr. Manfred Brandl, Steyr/Braunau Kirche in Steyr 1850 -1975 Wahre Kirchengeschichte kann man nicht schreiben. Ihr eigentlicher Inhalt sind ja Gottes Wort und sein Wirken für und in uns. Das entzieht sich naturgemäß exakter Nachforschung . Doch das äußerliche, die „Institution " Kirche in ihrem Gang durch die Geschichte, das soll den Christen auch interessieren . Das hi lft se~rier christlichen Besonnenheit und befördert kritische Liebe zur Mutter Kirche. So mag es anläßlich dieser Kircheneinweihung sinnvoll sein, erstmals einen - leider nur sehr knappen - Über- blick über die Geschichte christlichen Glaubens und christ- licher Tat in Steyr seit etwa 1850 zu bieten. Gerne hätte der Verfasser ein mehrfaches von dem geschrieben, was er so nur in knappen Andeutungen berichten kann. a. Der politisch-weltanschauliche Hintergrund in Steyr In früherer Zeit steckte die katholische Kirche ungleich mehr in der Tagespolitik als heute. Bis zum großen Revo- lutionsjahr 1848 war sie in der Monarchie und in den einzelnen deutschen Staaten we itgehend unfrei gewesen. Der Staat hatte sie am Gängelband geführt. Vereine waren suspekt und meist verboten . Es ist begreiflich , daß sie 1848/49 den Umschwung der Verhältnisse nutzte und die Freiheit der Betätigung in religiösen, caritativen, vereins- mäßigen und politischen Belangen für sich in Anspruch nahm. Wir stehen am Beginn der klassischen Zeit des Vereinskatholizismus, auch in Steyr. Schon 1849 wird in Steyr bei Sandböck ein „Entwurf der Statuten des Katholikenvereins :;:u Steyer " gedruckt. Radikale Bestre- bungen hatte es ja im Steyr der Revolutionszeit durch- aus gegeben. Am 18. Mai 1869 wurde das Kat h. Casino als Gesel- ligkeits- und Leseverein aktiviert, das sich dann nach neuen Statuten vom 6. Juli 1871 zu einem politischen Verein unter dem Namen Kat h. - politisches Casino in Steyr konst ituierte. Dieser Verein hat in der Folge ver- sucht, die katholischen Belange in der Stadtgemeinde zu vertreten . Am 5. November 1908 bestätigte die Oö. Stadt- halterei die Umbildung des kath.-politischen Casinos in den Ch r ist I ich so z i a I e n V e rein für den Wahl- bezirk Steyr mit dem Sitz in Steyr. - Die Mitglieder des einstigen Casinos nannte man früher auch „ Konservative " . Konservativ war sicher auch ihr Selbstverständnis: Treue zum Kaiserhaus , Treue zu den gegebenen Verhältnissen, Treue zum überkommenen Glauben vor allem. Führende Konservative waren nach einer Stichprobe (1883): Johann Abel , Joh. Ev. Aichinger (Stadtpfarrer), Joh. Außermann, Jos. Baumgartner, Friedrich Brandl (1827-1901) , Franz Breselmayr, Joh. Dittmann, Carl Donke, Ferd. Donke, Vor- stadtpfarrer Joh. Nep. Dürrnberger, Joh. Dutzler (t 1896), Ju:;ef Ecker, Emil Göppl (I" 1914) , Leopold Grießler, Joh. Grünling , Josef Haller (t 1892) , Peter Harrer, Carl Ho lub (1830---1903, der bekannte Mitarbeiter Werndls), Leopold Huber (t 1902), Anton Jäger v. Waldau (t 1911) , Carl Jäger v. Waldau, Franz Jäger v. Waldau, Heinrich Leitner, Alois Lindhuber, Georg Lintl (1852-1902) , Josef Loibl, Joh. Georg Mayr, Roman Mayrhofer, der Ahlschmiedmeister Leopold Molterer (t 1896) , Franz Nothhaft, Franz Pich ler, Jos. Peyrl (1826--1887), Georg Pointner, Simon Pölzl, Si- mon Pramendorfer, lgnaz Schaden, Florian Schedl , Josef Schwalbl , Peter Steinhuber, Alois Steinhofer sen ., Franz Wiesinger, Josef Zorn. - Kein Akademiker, kein wirkli- cher Großbürger! Bald nach dem Casino kam es in Steyr bereits zur Schaf- fung eines „ l iberalen politischen Vereins". Er wurde am 8. März 1870 behördlich genehmigt und am 19. März aktiviert. Dieser Verein, der im Hotel Crammer seinen Sitz hatte, zählte die weitaus einflußreicheren Bür- ger zu seinen Mitgliedern . Seit der Statutenänderung (ge- nehmigt 29. Dezember 1879) hieß der l iberale Verein ,. Fortschrittsverein", später „ Deutsch fort- schritt I ich e Partei". Sie führte bis zum Frühjahr 1912, als sie mangels an Nachwuchs zusammenbrach, Jahrzehnte hindurch die Geschicke der Stadt. Die Liberalen waren kirchlich meist distanziert, oft genug feindlich. Christentum widersprach dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts, seinem Lebensgefühl , seinem Bildungs-- stolz, seinen materiellen Interessen. Steyrs Hochfinanz gab sich hier ein Stelld ichein. Die führenden Männer der ersten Stunde (1870) waren Dr. Johann Hochhauser, Dr. Alois Spängler, Friedrich Dosch , Viktor Stigler, Dr. Carl Harrant, Carl Edlbauer, Josef Werndl, Gustav Gschaider, Franz Bauernfeind, Carl v. Koller und Alois Fürth. Die durch die Schaffung der liberalen Partei in Steyr weitergetriebene we ltanschau liche Polarisierung sollte sich bald auswirken, bis hin zu den Fronleichnamsprozessionen, wo unter Um- ständen hohe Chargen der Bürgergarde fehlten. Für die konservative Seite war der „Fortschrittsverein" weiter nichts als die ins Politische umgesetzte Waffen- fabriks-Gesellschaft, die damals das wirtschaftliche (und damit auch das politische) Leben der Stadt bestimmte. Die Liberalen und später die Deutschnationalen waren ge- schützt durch höchst antiliberale Wahlbestimmungen , die den kleinen Mann oder gar den Arbeiter nicht hochkom- men ließen, denn für die Besitzenden galt damals noch der Grundsatz: wer am meisten Steuern zah lt (= besitzt) , dem soll auch das meiste Wahlrecht zukommen. Zählen wir die wichtigsten Liberalen nochmals auf; wenig- stens schlaglichtartig ist ihre soziale Position skizziert : Realschuldirektor Edmund Aelschker, Gemeinderat 1892- 1906; Dr. Franz Angermann (1854-1918) , Franz Bauern- fe ind, Josef Berger, Friedrich Dosch , Carl Edelbauer, Ge- meinderat 1863-78 und langjähriger Vizebürgermeister (t 1907) ; der Notar Alois Fürth (1817-95 ; Gustav Gschai- der, Gemeinderat 1876-86, Vorsitzender der Sparkassen- direktion 1874-86 (t1886) ; Dr. Carl Harrant; der Freund Werndls Dr. Johann Hochhauser (t 1908) , Gemeinderat 1869-1900, Reichsrat ab 1885 ; Julius Huber, Dr. Fried- rich Höfner (1837-1901) , Bureauchef der Waffenfabrik ; Bankdirektor Jakob Kautsch (1845--1920) ; der Feuerwehr- Kommandant Wilhelm Klein (t 1909) ; der Weinhändler Anton Landsiedl (t 1890); der Galanteriewarenhändler Mathias Perz (t 1904), Gemeinderat 1876-95, Sparkas- send irektor, Präsident der Pfandleihanstalt etc.; Oberlan- desgerichtsrat Ferd. Löhnert (t 1908) ; Bürstenfabrikant An- ton Mayr (1830---1892) , Gemeinderat 1876--92; der Schiff- meister, Spediteur und Holzhändler Joh. Mayr (t 1886) ; Bürgerschu ldirektor Hugo Olbrich (1837-1892) ; Leopold Putz, Nägelfabrikant und langjähriger Vizebürgermeister (lebte 1814-99); Fabrikant Rupert Rathner (1835-80) ; Bürgermeister Josef Redl (1832-1902) ; der Generaldirek- tionsrat der Staatsbahnen Adolf Seyschab ; Dr. Alois Späng- ler, seit 1851 Arzt in Steyr ; Dr. W. Stigler ; der Kaufmann , Kohlehändler und Vorsitzende der Sparkassedirektion Joh. Scholz (1828-1901) ; Franz Tomitz (1835-1904) , Gemeinde- rat 1875-1901 ; der Kattundruck-Fabrikant Josef Tu reck (1847-1913); Generaldirektor Josef Werndl (1831-1889? ; Ludwig Werndl (1847-1890) ; Wenzel Wenhart, Direktor der Aichetschule und be liebter Gesellschafter ; der Land- tags- und Reichsratsabgeordnete Franz Wickhoff (t 1885) ; Max Wil lner und andere. Waren ein ige noch durchaus kirchenfreund lich , so kennzeichnet andere (etwa Wickhoff) blinder Haß. Die Partei ging jedenfall s zu Recht ein - mangels an allgemeingültigen Prinzipien. Was nicht heißt, daß es nicht auch heute noch - allgemein - Liberalismus gibt. 7

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