100 Jahre Höhere Technische Bundeslehranstalt

erfährt das Auge eine Bereicherung in der Fähigkeit, prüfend zu beurteilen was gefällt. Vergessen wir nicht, auch den Kunstgeschichte-Unterricht zu erwähnen. Neben der bedeutenden allgerneinbildenden Aufgabe, die er erfüllt, erzieht er das Auge durch Kunstbetrachtung zu einem anspruchsvollen Organ für die Beurteilung von Kunstwerken. Auge und Herz werden dem Kunsterlebnis geöffnet, das Bedürfnis zur Auseinandersetzung mit dem Aussagegehalt der Werke wird geweckt. Das bloße Sehen wird zum Schauen und entdeckt Werte in allem Sichtbaren, die Gewinn für Beruf und Leben bringen. Ludwig Dunker DIE PROBLEMATIK DER SCHULISCHEN BERUFSAUSBILDUNG IM ATELIERUNTERRICHT Eine Berufsausbildung an der Fachschule für Gestaltendes Metallhandwerk oder in einer Lehrzeit für Graveure oder Gold- und Silberschmiede - dies ist oft eine Frage, welche die Eltern eines Vierzehnjährigen bewegt. Die Vorteile, aber auch die Probleme der schulischen Berufsausbildung, die sich auf Grund des Allgemeinen Bildungszieles dieser Fachschule ergeben, sind nicht gering. Sie dient der Erlernung des Gewerbes der Gürtler, Bronzewarenerzeuger, Ziseleure, Metalldrukker, Juweliere, Gold- und Silberschmiede, Graveure, Forrnenstecher, Notenstecher, Emailleure und Guillocheure oder der Ausbildung auf diesen Gebieten. Außerdem wird in Steyr als einziger Ausbildungsstätte Österreichs auch der Pflege des traditionellen Stahlschnittes besonderer Raum gegeben, wie es in der Fachrichtung „Gürtler. Stahlschnitt und Gravur" zum Ausdruck kommt. Daraus ergeben sich im Atelierunterricht besondere Anforderungen an Schüler und Lehrer. Die Beherrschung der für das Fach erforderlichen Fertigkeiten und Technik ist von größter Gewichtigkeit. Dies kommt auch in der 50 Bildungs- und Lehraufgabe für den Unterrichtsgegenstand „Atelier und Werkstätte" und in der Anzahl von derzeit 20 Unterrichtsstunden pro Woche zum Ausdruck. Eine vorn Verfasser durchgeführte Tatsachenuntersuchung über die praktische Ausbildungszeit eines Schülers im Atelier- und Werkstättenunterricht ergab: Den 2720 Ausbildungsstunden inklusive Ferialpraxis eines Schülers der Fachschule für gestaltendes Metallhandwerk stehen bei einem Lehrling 5597 bzw. 4798 Ausbildungsstunden inkl. praktischer Unterricht in der gewerblichen Berufsschule in drei bzw. dreieinhalb Jahren Lehrzeit gegenüber. Das sind nur 48,6 Prozent der Ausbildungszeit eines Lehrlings. Aus dieser Tatsache ergibt sich bereits ein echtes Problem, denn auf welchen der im Allgemeinen Bildungsziel genannten Berufe soll das Schwergewicht der schulischen Ausbildung gelegt werden? Obwohl die Fachrichtung gegeben, einige Berufe verwandt sind, ist es eine verantwortungsvolle Aufgabe der jeweiligen Lehrer, eine Auswahl des Lehrstoffes bzw. der Arbeitstechniken nach fachlichen Erkenntnissen, pädagogischen und didaktischen Grundsätzen zu treffen, um den Schülern jene Fertigkeiten zu vermitteln, die sie befahigen später in den verschiedenen Arbeitsgebieten als Gesellen bzw. Facharbeiter im Gewerbe bzw. in der Industrie zu arbeiten oder an einer Kunsthochschule zu studieren. Daß gerade das handwerkliche und gestalterische Können in diesen Berufen von besonderer Bedeutung ist, um konkurrenzfähig zu sein. beweist. wie kritisch die gewerbliche Wirtschaft oft auf eine Fachschule und deren Absolventen blickt. An dieser Stelle soll aber auch auf die Gewichtigkeit einer Abstimmung der fachtheoretischen Unterrichtsgegenstände auf die beruflich-praktisch() Ausbilrtung in Form eines hr>r11f·~l><'1n!J0nen, praxisnahen Unterrichtes hingewiesen werden. Gerade durch die schulische Berufsausbildung, die erfolgsbegleitet und mit steigendem Schwierigkeitsgrnd sich aufbaut, hat ein Schüler ein c:d1tes Erfolgserlebnis, welches er zum Beispiel von der Entwurfsskizze über Werkzeichnung, Modellierung bis zum fertigen Prägestock, Stahlschnitt, getriebenen Relief, Schmuckstück oder Gefäß erlebt. Die Begabungen der Schüler sind naturgemäß verschieden. Hier ist es unter anderem eine besondere Aufgabe der Lehrer, die Schwächeren zu stützen, Begabungen zu wecken und zu fördern. Dies ist nur durch eine individuelle Betreuung im Atelier-Unterricht und in Form kleiner Schülergruppen möglich. Ein weiteres Problem sind die immer größer werdenden Umwelteinflüsse auf die Schüler und die damit verbundene Passivität, die bewirkt, daß es immer schwieriger wird, selbständige kreative Schülerarbeiten zu erreichen. Hier muß oft der Lehrer als Vorbild mit eigenen Skizzen und Entwürfen einspringen. Ständige Impulse, laufendes Vormachen und Korrigieren, aber auch die Vielfalt in der Aufgabenstellung und in der Ausführung von Übungsstücken in exemplarischer Art bis zu den praktischen Arbeiten tragen dazu bei, daß der Atelierunterricht als ein gewerblich-künstlerischer Unterrichtsgegenstand mit allen seinen Problemen interessant und lebendig gestaltet werden kann. Welche Erwartungen stellt die gewerbliche Wirtschaft an den Absolventen der Fachschule für Gestaltendes Metallhandwerk? Nimmt sie doch bis zu 80 Prozent von ihnen auf. Wie die Erfahrung gezeigt hat, erwartet man sich Spezialisten, schnellarbeitende Gesellen oder Mustergestalter für die Betriebe. Hier entsteht ein Problem, das sicher nur teilweise gelöst werden kann. Die Schule bildet ja keine Spezialisten aus, sondern sie vermittelt die handwerklichen Fertigkeiten auf breiter Basis und die Absolventen spezialisieren sich, wie die Praxis beweist, später im Berufsleben je nach Begabung und Wirtschaftslage. An dieser Stelle soll auch noch auf eine Untersuchung des Verfassers im Rahmen des gewerblichen Berufsschulunterrichtes hingewiesen werden. Sie ergab, daß Lehrlinge in der Fertigung eine schnellere Arbeitsweise besitzen als Schüler der Fachschule, dies aber nur auf den Gebieten, wo die praktische Ausbildung stattfindet. Später gleicht sich dies wieder aus, weil die Absolventen der Fachschule für Gestaltendes Metallhandwerk wesentlich mehr formales und allgemeinbildendes Fundament besitzen, wodurch weitere Berufsaufstiegsmöglichkeiten sich eröffnen. Es ist sicher als ein Erfolg der schulischen Berufsausbildung zu bezeichnen. daß ehemalige Schüler der Fachschule für Gestaltendes Metallhandwerk der HTL Steyr nicht nur als qualifizierte Facharbeiter in Gewerbe und Industrie arbeiten, sondern auch als Banknotenstecher in der österreichischen Nationalbank und als Medailleure im Österreichischen Hauptmünzamt, als selbständige Meister und Künstler in Österreich wirken sowie auch als Lehrer an berufsbildenden Schulen bis hinauf zur neuen Linzer Kunsthochschule tätig sind. Sie alle haben an dieser Fachschule in den vergangenen Jahrzehnten ihre erste Ausbildung erhalten und es ist eine beruhigende Feststellung, daß der Weg der schulischen Berufsausbildung auf breiter Basis im Atelierunterricht richtig war und auch in Zukunft so beschritten werden soll. Friedrich Mayr LITERATUR : Lehrplan der Fachschule für Gestaltendes Metallhandwerk, BGBI. Nr. 162i63, 59. Verordnung, auch in der Fassung BGBI. Nr. 176/69. Berufsausbildungsgesetz BGBI. Nr. 142-69. Verordnung des Bundesministeriums für Handel , Gewerbe und Industrie v. 22.10.1969 (Lehrberufe, Lehrzeit u. verwandte Berufe), BGBI. Nr. 142, 38. Stück v. 15.5.1970 (Schulen - Lehrberufe). 51

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