100 Jahre Evangelische Kirche Steyr Stadt 1898-1998

Die Einführung der Kirchensteuer erbrachte 1836 Kronen, eine Steigerung um 842 Kronen. Manche hatten bis zum fünffachen des bisherigen, freiwilli– gen Betrages zu leisten, aber bis auf wenige Ausnahmen zahlten die Gemeindeglieder ungefähr 37% der staatlichen Einkommenssteuer ohne Mur– ren. Sie wußten ja um die schwierige Situation der Gemeinde und wie wichtig es war, den Pfarrer nicht wieder zu verlieren, nur weil sein Gehalt nicht gesi– chert war. Ab 1908 hielt Pfarrer Waitkat wöchentlich Got– tesdienst in der Männerstrafanstalt Garsten. Im fol– genden Jahr gründete der Pfarrer einen Kinderchor und leitete ihn zwei Jahre lang. 1911 besuchten im Durchschnitt 60 bis 70 Men– schen den sonntäglichen Gottesdienst. Im Frühjahr und Herbst desselben Jahres unter– stützte der Kandidat der Theologie Hugo Fleisch– mann aus Erlangen Pfarrer Waitkat in seiner Arbeit einige Wochen lang . 1913 wurd er dem Pfarrer als geistliche Hilfskraft zugeteilt. Im Sommer desselben Jahres kündigte Pfarrer Waitkat die Pfarrstelle nach siebenjähriger gesegneter Tätigkeit, um in Habstein bei Böhmisch-Leipa im Sudetenland eine Zufluchtsstätte für entlassene Sträflinge, den ,,Sonnenhof" zu gründen. Seine Erlebnisse als Straf– hausseelsorger in Garsten bewegten ihn so sehr, daß er sich nun voll um die entlassenen Häftlinge in leiblicher und geistlicher Hinsicht kümmerte. Sein Vikar sagte über ihn: ,,Ein geisterfüllter Pre– diger des Evangeliums von seltener Art, hat er stets eine treue Gottesdienstgemeinde um sich gesehen. Vielen war er ein treuer Freund und Mitsorger in seelischer und materieller Not geworden, reiche Kraft strömte von ihm über auf alle, die Vertrauen zu ihm faßten." FLEISCHMANN Pfarrer Fleischmann Erst nachdem Vikar Fleischmann die österreichi– sche Pfarramtsprüfung abgelegt hatte, konnte die Gemeinde ihn am 19. April 1914 zum Pfarrer von Steyr wählen. Er übernahm eine Gemeinde, die in den Bezirken Steyr und Waidhofen 800 Seelen zähl– te, davon 121 Schüler, die in evangelischer Religi – on unterrichtet werden mußten. Eine Woche nach seiner Wahl zum Pfarrer von Steyr heiratete er in Erlangen Natalie Feldmann und richtete mit ihr die Pfarrwohnung ein. Am 8. Novem– ber 1914 erfolgte die feierliche Amtseinführung. Inzwi– schen hatte der 1. Weltkrieg begonnen, der schließ– lich großes Elend über die Stadt Steyr bringen sollte. 1915 wurde der letzte Jahresbericht der Pfarr– gemeinde vom evangelischen Buchdrucker G. Bruckschweiger gedruckt. Seit 1879 hatte er dies jährlich besorgt. Ein letztes Mal erhielten damit alle Gemeindeglieder unter anderem auch eine vollstän– dige Adressliste der Gemeinde. Im März 1915 spendete der Postoffizial Rudolf Landa zwei selbstgemalte Kopien der vier Dürer-Apostel, die seither in der Kirche hängen. Im März 1917 mußten die große und die kleine Glocke (Luther- und Waldenser - Glocke) zur Ein– schmelzung für Kriegsmaterial abgenommen wer– den. Nun läutete über fünf Jahrzehnte nur noch die Gustav Adolf - Glocke. Aus demselben Grund wa– ren im Februar 1918 alle Orgelpfeifen aus Zinn abzuliefern. Nach Kriegsende kam die Waffenschmiede von Österreich-Ungarn in Steyr zum Stillstand. Tausende verloren ihren Arbeitsplatz, Not und Armut kamen über die Eisenstadt und damit auch über ihre evan– gelische Gemeinde. 29

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