Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

Hände das katholische Glaubensbekenntnis abgelegt und Stephanas Fürbitte an- gerufen hat. Stephana, deren Schuldlosigkeit sich bei der Gerichtsverhandlung heraus- gestellt hat, wird als Martyrin im Triumph ,durch die ganze Stadt zur Kirche getragen, die wieder eröffnet wird, und mit einem sieghaften Gebet P. Alberts ·schließt das Werk. Das Ganze ist im Grunde eine Heiligengeschichte, die auf der Legende der heiligen Agnes beruht, wie sie Handel-Mazzetti in ihrer Jugend in einem kleinen Epos „Die Braut des Lammes" bereits zu formen verS'llcht hatte. Dem Präfekten Symphorianus entspri.cht Joachim Händel, sein Sohn Caius wird :mm Heinrich Händel und die kleine Agnes zur jung,en Stephana 63 • Der umfangreiche Roman spielt sich in einer Zeit von drei Jahren ab, doch nicht in geschlossener Zeitfolge, indem das erste Kapitel etwa auf den 13. Juli 1613 anzusetzen wäre 64 • Mit Beginn des zweiten Kapitels wäre bereits ein Zeitraum von fünfviertel Jahren vergangen 65 . Die eigentliche Handlung, die mit der Wallfahrt nach Weng und der Gefangennahme Stephanas beginnt, umfaßt bloß zwei Monate 66 , und da sie im Mai 1615 endet, beginnt sie also im März 1615; im Herbst ist Stephana 18jährig von Admont nach Steyr gekommen (II, 42), so daß eine weit längere Zeiterstreckung als bei den paar Tagen der „Armen Margaret" anzunehmen ist, aber durch eine starke Häu- fung der Begebenheiten innerhalb eines knappen Zeitraumes der Eindruck eines ge- schlossenen Ablaufs erreicht wird. Steyr, Linz und Wien sind die durchaus nicht nebensächlichen Schauplätze. Wien bringt auch die Kontrastszene in der Episode mit der Tochter Gabors Drusianna, die Heinrich erst die schlichte Herzlichkeit Stephanas erkennen läßt, eine Szene, die mehr berechnet als glaubhaft in der Darstellung wirkt. Denn solche Szenen liegen Handel-Mazzetti nicht. Das breit angelegte Großepos stellt die zwei Parteien streithaft einander gegenüber, wobei die Protestanten (Händels Mutter war Kalvinerin) die Macht in Händen haben. Aber selbst vernünftige Anordnungen wie manche Vorkehrungen gegen das Eindringen der Pest besiegen den Widerstand des Volkes nicht und P. Albert weiß manche Ereig- nisse klug zu benützen, ohne doch zum Hetzer zu werden. Die prächtigen Gestalten Joachim Händels und seiner Brüder, Stephana in ihrer gläubigen Einfalt, ebenso P. Albert sind markant gezeichnet, Heinrich bleibt dagegen etwas schematisch. Aber wie wird Steyr mit seinen Plätzchen und Winkeln, seinen Kirchen und Gassen leben- dig, wie wird es in einer Weise zum Schauplatz, daß man an Ort und Stelle sich das ganze Geschehen verkörpern kann. Wie wird da mancher Zug angebracht, mancher ehrsame Zeitgenosse eingeführt, was man überhaupt gerade bei den mit wenigen Strichen gezeichneten Nebenfiguren, den Mitgliedern der Familie Schwertner, den treuen Schützen Heinrichs immer wieder sehen kann. Und wie wird die Natur, wenn auch sparsam, nicht nur zum Hintergrund, sondern zum Mitspiel gebracht, etwa bei der Hinrichtung der vier Aufrührer. Obwohl kaum eine Episode nur um ihrer selbst willen dasteht, so ist durch die Fülle des Berichteten ein Werk entstanden, das ein Zeitbild gibt, bei dem aber doch ein überquellen und zuweilen ein überdecken der Grund- linien eintritt, gegenüber der „Armen Margaret" ein Ausmalen nach vielen Richtungen. Aber man möchte trotzdem kaum etwas prei!,geben, denn man spürt nirgends ein Ermatten der Kraft. Der mächtige Schluß läßt fast an das Finale einer großen Oper denken. Man erinnert ,sich .daran, ,daß die Dichterin schon in der Jugend mehr Gefallen an der Oper als am Schauspiel des Burgtheaters gefunden hat . Stephana wird als Martyrin zur Heiligen erhoben, zu der der sterbende Heinrich Händel betet. Und man denkt an das Wachsbild der hl. Euphemia in der Sankt- Michaels-Kirche zu Steyr, wenn die Tote geschildert wird: ,,Der Sarg war offen; und die Sonne schien auf ein ·schneeweißes Totengesicht, das ein Blumenkranz krönte, und auf eine kindliche Brust, darüber die Wachshände lagen und einen Blumenstrauß hielten. Und diese weiße Lilie war Stephana, die reinste Magd von Steyr, das fromme Herz unterm Sträußlein war vom Mordstahl durchbohrt 67 ." In der Gestalt der Maria Schinnagel mehr angedeutet, in der Stephana bereits zur Reife gediehen, war jenes Problem, das für Handel-Mazzetti das Oberste wurde und blieb: die Gottesbraut, die Jungfrau und Martyrin. Es war die Idealgestalt, die sie in verschiedener We1se immer wieder -darzustellen suchte und die in fast allen größeren Werken auftaucht. Kaum erst durch das Klosterjahr in St. Pölten erfaßt, aber im Kloster unstreitig gefestigt und vertieft, begegnet diese jungfräuliche Heilige vom 29 klösterlichen Spiel, vor allem der Agnes-Legende an (,,Die Braut des Lammes") immer

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