Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

früheren Sphäre blieb, und als Bruchstück erst 1902/03 gedruckt wurde, 1909 dann in der Zeitschrift „Über den Wassern" Aufnahme fand 38 , aber erst 1913 beendet und vollständig veröffentlicht wurde; denn dazwischen schob sich die Arbeit an dem ersten großen historischen Roman E. v. Handel-Mazzettis: ,,Meinrad Helmpergers denk- würdiges Jahr", zu dem aber erste, noch primitive Skizzen, bereits in das Jahr 1893 zurückreichen 39 • Nach den er,5ten Erfolgen wurde nun die Dichterin um Beiträge be- stürmt, und so kam es, daß manche frühere Arbeit wieder herausgeholt und neu auf- gelegt wurde 40 , sicherlich nicht immer z,u Gunsten ihres literarischen Rufes, der auch durch neue Sammlungen 'Solcher Jugendarbeiten nicht gehoben wurde. Aber man darf diese Versuche nicht literarisch bewerten, sondern muß sie als das nehmen, was sie sind: Probe-, ja übungsstücke, in denen man rückblickend manche bekannte Züge en~deckt, Arbeiten, die an sich keinen Eigenwert beanspruchen können, die aber für die Erfassung der Entwicklung der Dichterin manchen Fingerzeig geben und manchen Ein- blick gewähren. Man ·sieht das übernommene, man sieht das Erlernte und seine Vorlagen, noch ,aber fehlt das eigene Erlebnis. Erst .da aber konnte man von Reife spre- chen. Sie brach über Handel-Mazzetti herein, als sie 27- 28 Jahre alt war. Werke der Reife Fast unmerkbar vollzog sich die Wandlung zur eigenen Kunstleistung. fördernden und klärenden Anteil hatte dabei vor allem der Bruder einer der St. Pöltner Lehrerinnen Handel-Mazzettis, Professor Dr. Robert Zimmermann, der bekannte Ästhetiker der Wiener Universität. Ihre Schriftstellerei litt noch an innerer Unwahrheit der Fabel und Überschwenglichkeit der Form. Robert Zimmermann brachte ihr den Begriff der ideellen Wahrhaftigkeit und der formellen Askese bei. Er wies sie an, ,das Leben zu studieren, sonst könne sie nie eine wahre Künstlerin sein. Sie dürfe die Welt mit ihren Augen - ,,Ihren frommen Augen", -sagte er - anschauen, aber anschauen müsse sie die Welt. Sie folgte ihm und bald zeigten sich die Erfolge. Sie schrieb ZJU den vielen Er- zählungen, die sie bereits verfaßt hatte, eine neue, -sah sich aber vorher die Leute an, die ·sie schildern wollte, und diese Erzählung wu11de ganz anders, ah; die bisherigen. Es war die erste, von der man sagen konnte, sie ,schlug ein 41 . Die überkommene, oft formelhafte Art wurde verlassen und durch eigene Anschauung ersetzt. Schon schrieb sie an einem Wiener Roman aus der guten Gesellschaft, in dem wieder der soziale Gegensatz auch eine Rolle spielen ,sollte, ein Roman, der „Brüderlein und Schwester- lein" heißen sollte. Aber bei ihrer Schaffensweise schieben sich die Dinge häufig in- einander und übereinander, so daß die Erscheinungsdaten über die Entstehung nicht das Richtige aussagen. Man muß auf die Entstehungszeit zurückgreifen, um ver- borgene Verbindungen und Zusammenhänge, die oft ·sehr aufschlußreich sind, auf- zudecken. So wurde der Roman „Brüderlein und Schwesterlein" zurückgestellt, als sich plötzlich ein Romanplan mächtig in den Vordergrund drängte, dessen Ansätze weiter zurückreichen und der schließlich den Titel erhielt „Meinrad Helmpergers denk- würdiges Jahr". Eine kurze Bemerkung in dem Buch von Theodorich Ha,gn, Das Wirken der Benediktinerabtei Kremsmünster, Linz 1848, zündete in ihr. Da hieß es, daß kleine Kinder von Emigranten, deren Eltern wegen ihres evangeli-schen Glaubens ihre Heimat verlassen mußten, in Kremsmünster aufgenommen wurden, um sie für die katholische Kirche zu gewinnen. Das Thema des konfessionellen Gegensatzes und Streites lag der Dichterin von den Glaubensunterschieden innerhalb ihrer Familie nahe. Dazu trat die Zeiterscheinung der Los-von-Rom-Bewegung auf das Betreiben der All- deutschen Partei unter Georg Ritter v. Schönerer. So lag es nahe, auf die Epoche der Gegenreformation zurückzugreifen, was wieder einen historischen Roman verlangte. Daher klingt in diesem Buch bereits der Leitsatz ihres Lebens und Schaffens an: Magna res est charitas, der aus Thomas a Kempi-s „Imitatio Christi" 42 •stammt. Das Buch erschien zunächst wieder in einer religiösen Zeitschrift: ,;Die christliche Familie", wo es der damalige Redakteur Franz Eichert aufgenommen hatte (1897 bis 1900), in einer literarisch nicht angemessenen Umgebung. Die kurzen Fortsetzungen zerrissen die Lektüre, so daß der Roman eigentlich •erst in Buchform wirken konnte. Es war die Geschichte eines Buben aus England, Edwin Mac Endoll, den sein Vater wegen Erkrankung der Mutter zu Bekannten nach Wien schickt, wo aber dais Ziel 20

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2