Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

verfehlt wird und der Knabe nun von dem Kremsmünsterer P. Meimad Helmperger mit Einverständnis des Begleiters in das Stift Kremsmünster gebracht wird. Dort ver- sucht man vielfach, ihn für den katholischen Glauben zu gewinnen. Nur P. Meinrad weiß in seiner selbstlosen Milde das rechte Mittel, nämlich Liebe. Edwin verlebt nun ein halbes Jahr in Kremsmünster mit Festen, Feierlichkeiten - eine Theateraufführung von P. Simon Rettenpachers Jahrtausendfestspiel „Callirhoes et Theophobie Amores" wird zum Stiftertag wiederholt. Da kommt der Vater zu Besuch und nimmt den Buben mit sich nach Berlin. Dort aber wfod Mac Endoll ·des Atheismus angeklagt, verurteilt und gefoltert, so daß er unter Qualen stirbt, nachdem er bereut hat. Das Kind, das man dem Gepeinigten gegenüberstellte, wird wieder nach Kremsmünster zurück- gebracht, wo es sich nun :mm rechten Glauben bekehrt. All da·s wäre sicher eine eigenartige Geschichte. Aber wie dieser Ausschnitt aus dem Leben des jungen Edwin Mac Endoll erzählt wird, das war da:s Geheimnis. Die Zeit wurde lebendig mit all ihrer Eigenart, mit Tracht, Kostüm, Denk- und Lebensweise und den vielen Einzel- heiten, die in einer Art genutzt wurden, daß man es gar nicht merkte . Die Gestalten sind zum Teil. histor.isch, so der harte Abt Alexander Straßer, aber auch der weiche, geistig bescheidene, doch herzensgute P. Meinrad 43 : kurzum •das Ganze begann zu leben. Gewiß haften dem Buch noch Mängel an, ,so die Zweiteilung des Schauplatzes, trotz der geschichen thematischen Gegenüberstellung, denn die technische Verschmel- zung der beiden Teile :i<st nicht ganz gelungen, obwohl die Briefe, die Edwin an P. Mein- rad schreibt, als Klammer dienen. Aber wie wird dann dieses Leben in Kremsmünster sinnfällig, wie die Lokalität Alt-Berlins, für die ein alver Stich, der •sich in Maria Taferl fand, benützt werden konnte, da der „Meinrad" teilweise in Maria T,aferl geschrieben wurde. Wie die Dichteriin ein Jahr in ihrem unvergeßlichen St. Pöltener Kloster ver- brachte, so ihr Edwin im Stifte Kremsmünster, für beide ein denkwürdiges Jahr. Für den Zeithintergrund wurden die Hamburger Relationes curiosae von 1707 ver- wendet. Mac Endoll gibt ein gesteigertes Idealbild des englischen Freidenkers Thomas Woo1ston {1669-1733), der wegen Atheismus vor Gericht gestellt wurde. Für den Sprachstil der Zeit bot Gottsched, Canitz und sogar noch Lohenstein die Unterlage 44 • Die Erzählung ist stark dramatisch geprägt, der Dialog herrscht vor, der Monolog und noch mehr der „innere" Monolog, der nur die Gedanken der Personen indirekt wieder- gibt, werden bereits hier gemeistert. Auch die Vorführung einer erbarmungslosen Fol- terszene, die dem Leser nichts erspart und in Blut und Wunden wühlt, zeigt nicht nur die Haltung, sondern auch das Können der Dichterin. Der zweite Teil läßt freilich im allgemeinen an künstleri,scher Kraft etwas nach. Mit dem Schwinden der unmittelbaren Anschauung geht auch die Verlebendigung zurück. Schon hier gesellt sich aber z,ur Lust am Grausamen religiöse Verzückung, wie etwa jene Vision des Knaben, daß ihm ein Engel ,das Sakrament bringe, und der Traum Meinrad.s, die heilige Jungfrau übergebe ihm ein Kind, eben den kleinen Edwin, an dem der Pater Vaterstelle vertreten soll. Daß schon hier überhitzung und Übersteige- rung sich geltend machen, wird niemand leugnen können. Die Neigung zur Inbrunst, ja zur Ekstase ist bereits vorhanden. Auch der Hinweis auf die Passion Christi begegnet uns bereits, wenn Mac Endolls Martertod Christi Kreuzestod nachgebildet wird und sein Kind in ihm den Heiland am Kreuz z,u sehen glaubt. Teufels- und Hexenglauben als düstere Zeichen der Zeit fehlen ebenfalls nicht. Unmöglich aber sind viele Feinheiten auch nur anzudeuten, die bereits hier mit bewußter Kunst angebracht sind: wie manches geradezu kontrapunktisch gestaltet wird, der Schluß des ersten Teiles und der des zweiten aufeinander abgestimmt wer- den, wie da und dort versteckte Beziehungen zu finden sind, wie vor •allem bereits die Kunst geübt wird, anzudeuten, hinzuweisen, aber nicht auszuführen, also die Kunst des Schweigens gegenüber dem Reden, und wie so bereits vieles knapp gestaltet ist, was bisher in die Breite floß. Es ist unglaublich, was in diesem Erstlin~sroman sich bereits an künftiger Reife offenbart, wie sich die Dinge verschränken, berühren, über- schneiden, ja bis in die Zeichnung der Figuren, die Wahl der Charaktere, -die vielfach die feine Hand ·der Künstlerin verraten, die bereits Wirkungen hervorzurufen versteht, denen man erst bei ,genauerer Betrachtung auf die Spur kommt. Es war ein glücklicher, ja es war ein großer Wurf, der ,die Pforten zu echter Kunst mit einem Schl.age öffnete. Nur kleinliche Mäklerei wußte dies und das ausZJUsetzen, erfahrene Betrachtung 21 fühlte den Anhauch von Bedeutung. Denn hier war Erleben eines Epikers in einem

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