Amtsblatt 1905/2 der k.k. Bezirkshauptmannschaft Steyr

Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Beziehung auf das Arbeits¬ buch vom Standpunkte des Privatrechtes, so unterliegt es keinem Zweifel, daß dieses Rechtsverhältnis nach Analogie der Bestimmungen über den Verwahrungsvertrag zu beur¬ teilen sein wird, wobei aber die Bestimmung des § 962, a. b G.=B., außer Betracht bleiben muß, da der Arbeiter vor seinem Austritt aus der Arbeit seine Dokumente nicht zurück verlangen darf. Nachdem der § 80 c, Gewerbeordnung, dem Arbeitgeber die Pflicht auferlegt, bei ordnungsmäßiger Lösung des Arbeitsverhältnisses das Arbeitsbuch auszuhändigen, so hört in diesem Zeitpunkte die Pflicht des Arbeitsgebers zur weiteren Aufbewahrung des Arbeitsbuches auf. Im Hinblick auf die Textierung des § 80 c, Gewerbeordnung, welche vom Aushändigen des Arbeitsbuches spricht, muß die Aus¬ folgungspflicht des Arbeitsgebers als sogenannte Holschuld betrachtet werden. Wenn nun der Arbeiter bei ordnungs¬ mäßiger Lösung des Arbeitsverhältnisses das Arbeitsbuch beim Arbeitgeber zurückläßt oder dessen Annahme verweigert so befindet sich derselbe zweifellos in Annahmeverzug und der Arbeitgeber, dessen Aufbewahrungspflicht mit dem Tage des Austrittes des Arbeiters erloschen ist, haftet von da an in analoger Anwendung der Bestimmung des § 1419, a. b G.=B.,, nur mehr für böse Absicht und auffallende Sorg¬ losigkeit und muß als berechtigt angesehen werden, sich seine Haftung durch Uebergabe des Arbeitsbuches und der sonstigen bei ihm hinterlegten Dokumente seines Hilfsarbeiters in die Verwahrung eines Dritten zu befreien. Ob er sich aber durch diese Hinterlegung bei einem Dritten, mag derselbe eine Privatperson oder eine Behörde sein, wirklich seiner Haftung entledigt, dies zu beurteilen, muß jedem einzelnen konkreten Falle vorbehalten bleiben. Im all gemeinen läßt sich diesfalls nur sagen, daß ihn eine weitere Haftung nicht wird treffen können, wenn er die fraglichen Dokumente bei einem Dritten hinterlegt, bei welchem deren Abholung nicht mit größeren Schwierigkeiten und Kosten für den Arbeitnehmer verbunden ist, als beim Arbeitgeber selbst und wenn letzterem bei der Auswahl des Verwahrers eine böse Absicht oder auffallende Sorglosigkeit nicht zur Last fällt. Insbesonders kann es dem Arbeitgeber gewiß nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn er das Arbeits buch und die sonstigen Dokumente bei einer Behörde hinter¬ legt, welcher nach der Gewerbe=Ordnung die Handhabung der gewerblichen Vorschriften obliegt, vorausgesetzt, daß diese Behörde zur Entgegennahme der Schriftstücke bereit ist. Denn wiewohl kein Gesetz und keine Verordnung besteht welche diesen Behörden die Entgegennahme von derlei Schrift¬ stücken zur Pflicht machen würden, so steht doch im Hin¬ blicke auf die ihnen nach der Gewerbeordnung übertragenen Srechte und Obliegenheiten außer Frage, daß sie durch die fartische Annahme und Hinterlegung derselben ihren Wirkungs¬ kreis nicht überschreiten. Als solche Behörden kommen hauptsächlich in Betracht die Gemeindebehörde des Aufenthaltsortes des Hilfsarbeiters, welche nach § 80, § 80 f und § 80 g, Gewerbeordnung, dem Hilfsarbeiter das Arbeitsbuch und eventuell Duplikate desselben auszufertigen hat, demnach zweifellos auch zur Annahme und Aufbewahrung der hinterlegten Schriftstücke befugt ist, und die als Gewerbebehörden fungierenden poli¬ tischen Verwaltungsbehörden I. Instanz, deren Obliegenheiten im § 141, Gewerbeordnung, keineswegs taxativ aufgezählt sind. Desgleichen kann von einem Verschulden des Arbeits¬ gebers wohl dann keine Rede sein, wenn er die bezeichneten Dokumente bei der im Hinblick auf die Bestimmungen des Artikels V, alin. 2, Z. 2 und 6, des Reichsgemeindegesetzes vom 5. März 1862, Nr. 18 R.=G.=Bl., und die ein¬ schlägigen Paragraphe der einzelnen Gemeindeordnungen zur Entgegennahme und Verwahrung unzweifelhaft berechtigten Gemeindebehörde des Arbeitsortes oder der Verwaltung des gewerblichen Unternehmens als Polizeibehörde hinterlegt, weil er dies ja sicherlich mit Schriftstücken tun kann, welche jemand bei ihm vergessen oder verloren hat, und die Lage des Arbeitgebers hier dieselbe ist, wie in dem Falle, wenn sein Hilfsarbeiter nach ordnungsmäßiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses seine Schriftstücke bei ihm nicht abholt, bezw. deren Annahme verweigert Schließlich muß dem Arbeitgeber unter allen Um¬ ständen das Recht gewahrt bleiben, das Arbeitsbuch und die sonstigen Dokumente des Hilfsarbeiters auch bei dem für ihn zuständigen Gerichte zu erlegen, nachdem aus der Vorschrift des § 1425, a. b. G.=B., nicht hervorgeht, daß lediglich eine aus einem Vertrage geschuldete Sache bei Gericht hinterlegt werden kann. Der Oberste Gerichtshof beantwortet hiernach die an ihn gestellten, eingangs zitierten Fragen nachstehend: a) Der Arbeitgeber ist im Falle ordnungsmäßiger Auf¬ lösung des Arbeitsverhältnisses nicht verpflichtet, das Arbeits¬ buch und die sonstigen Dokumente des Hilfsarbeiters weiter aufzubewahren, auch wenn dieser die ihm angebotene Aus¬ händigung der gedachten Schriftstücke ablehnt oder das Be¬ gehren um Ausfolgung derselben unter Umständen zu stellen unterlassen hat, unter denen er es hätte füglich stellen können und sollen; b) der Arbeitgeber ist im Falle des Annahmeverzuges des Arbeitnehmers berechtigt, das Arbeitsbuch des Hilfs¬ arbeiters, dessen Arbeitsverhältnis ordnungsmäßig gelöst ist, und die anderen bei ihm hinterlegten Dokumente bei einem Dritten zu deponieren, bei welchem deren Abholung nicht mit größeren Schwierigkeiten und Kosten für den Hilfsarbeiter verbunden ist als beim Arbeitgeber selbst, soferne ihm hiebei nicht böse Absicht oder auffallende Sorglosigkeit zur Last fällt; c) insbesondere kann die Deponierung zum Zwecke der Abwendung der im § 80 g, Gewerbeordnung, statuierten Haftung bei der Gemeindebehörde des Aufenthaltsortes des Hilfsarbeiters oder bei der für den Arbeitsort zuständigen Gewerbebehörde oder bei der für den Arbeitsort oder die Verwaltung des gewerblichen Unternehmens zuständigen Ge¬ meindebehörde als Polizeibehörde bewirkt werden, voraus¬ gesetzt, daß diese Behörden zur Entgegennahme der Schrift¬ stücke bereit sind; d) unter allen Umständen ist aber der Arbeitgeber berechtigt, bei ordnungsmäßiger Lösung des Arbeitsverhält¬ nisses das Arbeitsbuch und die sonstigen Dokumente des Hilfsarbeiters gemäß § 1425, a. b. G.=B., bei seinem zu¬ ständigen Gerichte zu erlegen. 163. Steyr, 3. Jänner 1905. An alle Gemeinde=Vorstehungen. Zufolge Erlasses der k. k. oberösterr. Statthalterei Nr. 25.431/V, vom 29. Dezember 1904 sind die Herren Aerzte des Amtsbezirkes auf die im Landesgesetz= und Ver¬ ordnungsblatte zur Kundmachung gelangende Verordnung der k. k. Statthalterei in Oberösterreich vom 19. Dezember 1904, Z. 25.431/V, betreffend die teilweise Abänderung und definitive Festsetzung der Wahlgruppen für die Aerzte¬ kammer in Oesterreich ob der Enns besonders aufmerksam zu machen

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