Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Perlen auf die Schnur ziehen lassen, wenn ihm das leichter fällt als mit der rechten Hand. Das Kind bekommt ohnehin noch genug Gelegenheit, die Rechte zu trainieren - schon allein durch den Zwang, in der Schule mit der rechten Hand schreiben zu müssen. Auch wenn ein achtjähriges Mäd– chen immer noch am liebsten mit der linken Hand näht, sollte die Mutter es ruhig gewähren lassen. Vor allem muß sie darauf achten, daß das Kind, gleichviel mit welcher Hand, das Beste leistet, was es nach seiner Begabung leisten kann, und nicht das Gefühl bekommt, daß Linkshändigkeit ein Feh– ler ist, etwas, dessen man sich schämen müßte. Die Altersgenossen in der Schule und in der Lehrstelle pflegen mit ihren Hänseleien nicht zu sparen. In diesem Falle sollten die Eltern helfen, indem sie ihrem Kinde etwa sagen: ,,Lasse sie nur hänseln! Wenn du mit deiner linken Hand etwas Ordentliches schaffst, so wirst du sie noch einmal alle beschämen!" Nichts ist ja bei der Erziehung eines Kindes, das irgendwie von der Norm abweicht, so wichtig, wie die Verhütung von Minderwertigkeitsgefühlen. Selbstver– trauen ist die Vorbedingung nicht nur für das seelische Wohlbefinden, son– dern auch für die Entfaltung der Fähigkeiten, die in den einzelnen Men– schen gelegt sind. Das soll vor allem ein Erziehungsgrundsatz sein. Die Lachkur gegen Nervenleiden. Was hat man nicht alles schon empfohlen und angewendet gegen die Krankheit unserer Zeit, die Nervo– sität! Ruhekuren, Wasserkuren, Milchdiät, Weintrauben, Luftwechsel, Som– merfrischen usw. Hunderttausende kämpfen auf diese oder jene Weise gegen ihr Nervenleiden und man sollte meinen, es müsse der Nervenpopanz doch bald ganz aus der Welt verschwunden sein, aber im Gegenteil, die Ner– vosität wird immer verbreiteter, immer ärger. Sie ergreift so~~r.unsere Kinder, und demzufolge werden immer mehr Nervenheilanstal~ gebaut, Ferienheime für Blutarme, nervöse Großstadtkinder und vieles sonst noch. Der Pariser Nervenarzt Dr. Jean Simeon behandelt seit Jahren seine Patienten in einer ganz eigenartigen, geradezu kostenlosen Weise; und der enorme Zulauf, den er hat, ist Beweis genug dafür, daß seine Methode An– erkennung findet. Er untersucht die Patienten sehr genau, trägt ihnen dann die amüsanten lateinischen Bezeichnungen für die einzelnen anorma– len Zustände vor, und versteht es, schon hierdurch die Kranken zum Lachen zu bringen. Dann befiehlt er ihnen direkt, herzhaft zu lachen, erzählt aller– lei von der Kunst des Lachens, läßt wieder lachen, bis die Tränen aus den Augen kommen, und - nach vier Wochen ist der Patient gesünder als er jemals war. Das ist die Lachkur. Die Erschütterungen des ganzen Organis– mus, die die Heiterkeit hervorruft, sind das segenspendende Fluidum. Das wird wohl auch dem Laien einleuchten. Wir Menschen sorgen uns von früh bis abends und ärgern uns über jede Mücke - wir sollten etwas gleich– mütig werden und mehr lachen, recht viel und oft lachen, dann wird die Nervosität von selbst verschwinden. Lange schlafen ist gesund! In der wärmeren Jahreszeit pflegt der Mensch früher aufzustehen als sonst, oft viel früher, und er kostet ebenso das sonnige Tageslicht bis auf die Neige aus und legt sich erst sehr spät ins Bett. Es soll nun nicht in Abrede gestellt werden, daß der Mensch so etwas wie einen Winterschlaf braucht, und darum schläft er auch im Winter viel mehr als im Sommer. Andererseits weiß jeder, der es einmal versucht hat, daß ein Morgenspaziergang, ein zeitiger, etwas ganz Herrliches ist, und daß man abends nach getanet Arbeit am liebsten gar nicht zu Bett gehen möchte, denn so ein Sommerabend ist bekannt genug, als daß man seine Wonne noch zu schildern brauchte. So vernachlässigt man denn im Sommer seine Gesundheit, indem man zu wenig schläft. Schlafen ist durchaus nicht gleich- 89

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