Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Letztere galten als Theoretiker, und für Theorie hatte das Volk nicht sehr viel übrig. Nach alten Chroniken vollzog sich abermals eine Besserung etwa im 16. Jahrhundert. Wenigstens läßt sich feststellen, daß die medizi– nische Wissenschaft etwas über den Schröpfkopf hinaus ging, natürlich · ohne letzteren fallen zu lassen. Dasselbe läßt sich von der Harnschau sagen, die sich ebenfalls durch alle Wandlungen der Zeiten als wichtig und oft ausschlaggebend erhalten hat. Ein besonders ausgebauter Zweig der Medizin war die Chirurgie. Aber auch dieser Zweig blieb Stückwerk und mangelte eines besonderen Ruhmes. Gewisse aus dem Mittelalter erhal– tene chirurgische Instrumente sind Folterwerkzeu~n nicht unähnlich. Man hat den Eindruck, daß der Teil der damaligen Bevölkerung, der sich ein– fach der Natur überließ, den besten Arzt hatte. Wie erwähnt, trat auf dem Gebiete der Medizin eine wesentliche Besse– rung im 16. bis 17. Jahrhundert ein. Wie es mit der Besserung stand, ersehen die Leser aus folgendem Artikel, der wörtlich aus einem Doktorbuch des Jahres 1690 kopiert ist. Der Verfasser des Buches warnt in seinen Schriften mehrere Male vor Kurpfuscherei und betont seine auf Grund wissenschaftlicher Studien erworbenen Kenntnisse. Er wirkte als ,,Medicus Practicus" an einem Physikat zu Ochsenfurth. Der Medikus schreibt z. B. darin: „Von der Krankheit, so man lausig ist. Gleich wie diese Krankheit an dem gantzen Leib und sowohl am Haupt sich sehen lasset, von schleimigem und unreinem Geblüt ihren Ursprung und die Fortpflantzung durch ihren Saamen und Nissen hat, so nimmt sie auch bisweilen Achsel, Bart, ja auch die Augenbrauen ein, als daß sie ein beharrliches Jucken verursacht. Es ist zwar nicht ohne, daß diejenigen Tücher, welche die Goldschmid im Ver– gulden der silbernen Arbeit gebrauchen, ein gutes Mittel gegen dergleichen Ungeziefer seyn. Auch dieses kan ohne einzigen Schaden verursacht wer– den, jungen Kindern und Alten anständig seyn : Nimm ein leinen Tuch, dunke es in Brandwein und r eibe das Haupt vor dem Schlaffengehen wohl damit und binde es also naß über den Kopf die Nacht: Durch den folgen– den Tag früh kämme den Kopf, so wirst du wohl die gestorbenen Läuß und Niß darmit herunter bringen. Wann die Hembder mit Weinrauthen gesot– t en werden, so kan kein Lauß darinnen wachsen, wie ich oftermalen zu Venedig auf den Galeer en gesehen, allwo die Sclaven sich dieses Mittel b edienet, man muß es oft wiederholen." Inter essant ist das Kapitel über: ,,Wenn die Kinder beschryen und b ezaubert seyn." Darin heißt es: „Sollte ein Kind bezaubert seyn, so haltet man es vor eine gewisse Kur gegen das Bezaubern, wann man etwas weniges von den Kleidern oder Ge– wand, wann anderst die Zauberin bekannt ist, von ihr haben kan, selbige verbrennet und den Bezauberten mit räuchert. By uns Catholischen braucht man Rauchwerk von dem sogenannten Hexen-Rauch, welches Composition aus etlichen darzu dieneten und geweyten Stücken bestehet; Henke der– gleichen Omulet und geweyhte Sachen denen Kindern und rothe Corallen oder Knoblauch an den Hals, ber äucher e imgleichen sie mit Weyhrauch ; noch wundersamer ist es, daß wenn zwey Kinder seynd und das eine so anfanget zu r eden, das ander e so noch nicht reden kan, anhauchet, so wird dasjenige, so reden kan, so lange nichts mehr reden, bis das ander e, so nicht reden kan, auch anfanget zu reden, dessen Ursach hat noch niemand ergründet und bestehet dieses Ding nur aus der Erfahrnuß." Es mutet uns komisch an, unter den Medikamenten so häufig „ein Quintlein gepulverter Regenwürmer oder gestoßene geröstete Kröten" vor- 83 6*

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