Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Am 5. März war alles wieder so ruhig, als sei nichts geschehen. Am 6. März aber rückten die Darmstädter Dragoner in Lauterbach ein, wo_sie ein halbes Jahr lang zur Strafe von der Bürgerschaft verpflegt werden mußten. Es kam zwar die Nachricht, daß der Großherzog alle Forderun– gen des Volkes bewilligt und den Erbgroßherzog zum Mitregenten ange– nommen habe. Man feierte in Lauterbach Freiheitsbälle und Verbrüde– rungsfeste. Selbst die inzwischen zurückgekehrten Riedesel verzichteten auf die Gerichtsbarkeit und steckten volkstümliche Gesichter auf. Sie lie– ßen sogar die Niederreißung des freiherrlich Riedeselschen Galgens unge– ahndet, der jahrhundertelang vom Galgenberge aus freundlich auf das Städtchen herabgeschaut hatte. Aber für die armen Bauern gab es keine Gnade. Es fanden sich Verräter in Menge, die die Rebellen den Schergen auslieferten. Die beleidigte „Ordnung" nahm grausam Rache. Auf Jahre wanderten die denunzierten Bauern in das Zuchthaus. Und die wackeren Bürger rührten selbst im höchsten Jubel über die sogenannten Märzerrun– genschaften keine Hand für ihre Brüder auf dem Lande. Sie rückten weit von ihnen ab. Und wenn einmal ein Bauer zu einem der liberalen Fabri– kanten meinte, daß die liberalen Herren doch auch die Freiheit gepredigt und sogar den Barrikadenkämpfern von Wien und Berlin zugejubelt hät– ten - wie es sich denn damit zusammenreime, daß sie die rebellierenden Bauern als Verbrecher behandelten? -, dann sagte der weise liberale Bürgersmann einfach: Ja, Bauer, das ist ganz was anderes! Richard Wagner. Heilkunde des Mittelalters. Unter den Wissenschaften des Mittelalters stand die Medizin mit am tiefsten. Auf der einen Seite die von den Vorväterzeiten fortgeerbte Volks– heilkunde, auf der andern die kaum verstandenen Schriften, durch die etwas medizinisches Wissen aus dem Altertum herüber gerettet wurde. Das ganze medizinische Können lag nicht in den Händen der Gelehrten, wurde auch nicht als exaktes Studium betrieben, sondern lag hauptsächlich in den Händen der Geistlichen und sonstigen Klosterinsassen. Quacksalber und Kurpfuscher stammten zum größten Teil aus den niederen Volkskreisen. Selbst verkommene Subjekte waren es, die dem oft unheilvollen Gewerbe oblagen. Die Geburtshilfe lag zum größten Teil in den Händen sogenann– ter weiser Frauen, die oftmals die reinsten Schwarzkünstlerinnen waren. Eine wesentliche Besserung trat erst um die Reformationszeit ein. Zu jener Zeit begannen die besseren Stände, sich mit der Medizin als einer Wissenschaft zu befassen. Von großer Bedeutung war es allerdings, daß die aufblühenden Städte und selbst der Staat entsprechende Schritte unter– nahmen, das gesamte Heilwesen zu einer Wissenschaft zu erheben und es auch zu unterstützen. Im 14. Jahrhundert spielten nach alten Chroniken bereits Stadtärzte bei Hospitälern eine Rolle. Trotzdem blieben der sani– tären Uebelstände genug, und den großen Volkskrankheiten, wie Pest, Cholera etc., stand man doch noch fast machtlos gegenüber. Obwohl es bereits medizinische Institute gab, kam die Wissenschaft als solche schwer aus den Kinderschuhen heraus. Neben den Aerzten spielten, zum Teil im geheimen, die Volksheilkünstler noch eine zu große Rolle. Die Bader, die den Rang so quasi eines niederen Arztes hatten, übten im allgemeinen eine größere Praxis aus, als die von den Universitäten ausgebildeten Aerzte. 82

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