Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Frau. Wäre er frei gewesen, so hätte wenigstens e in Bürger dem Rufe ,,Bürger heraus!" Folge geleistet. Der erste Besuch der Bauern galt dem großherzoglich hessischen Land– rate. Die Richter waren Riedeselsche Beamte, der Landrat dagegen der Wahrer der Oberhoheit des Großherzogs. Er war trotz seines lustigen Namens Fröhlich ein grimmiger Volksfeind, der auch bei den Bürgern und besonders bei den liberalen Fabrikanten sehr unbeliebt war. Der alte Leuteschinder ließ sich jedoch nicht auffinden, obwohl die Bauern das ganze Haus durchsuchten. Hätten sie im Pferdestall in die Futterkiste geblickt, würden sie den Landrat entdeckt haben. Dafür fiel ihnen der Diener des Landrats in die Hände, der sie noch hoffärtiger anzu– blasen pflegte als der Herr. Sie konnten es sich nicht verkneifen, dem Ehrenmanne eine tüchtige Tracht Prügel zu verabreichen. Das Landratsamt lag vor dem östlichen Burgtore, durch das sich nun– mehr der helle Haufen wälzte. Man rückte vor das Schloß und verlangte die Barone zu sprechen. Zwei dieser edlen Junker waren noch im Schlosse; sie hätten die Menge leicht beruhigen können, aber sie gaben Fersengeld und flüchteten durch den Küchengarten auf den Kirchhof, wo sie sich in ihrer Familiengruft versteckten. Als die Barone nicht erschienen, verlangte das Volk die Rentmeister. Aber auch die beiden Rentmeister, berüchtigte Bauernquäler, waren flüch– tig; sie hatten sich im Weinkeller in einem leeren Fasse versteckt. So war von der ganzen Regierungsherrlichkeit nur noch der Brau– meister übrig. Dieser kluge Diplomat ließ mitten im Burghofe ein großes· Faß Bier anstecken und an die Bauern verzapfen. Er würde damit den Geist der Rebellion bald ertränkt haben, wenn sich nicht der Stadtpfarrer, ein sehr schneidiger Herr, an dem ein Kavallerieoberst verdorben war, auf den Rand des Burgbrunnens gestellt und den Bauern Buße gepredigt hätte. Das war so wenig nach dem Geschmack der so oft mit Redensarten abge– speisten Leute, daß sie den Herrn im Brunnenbecken untertauchten, worauf sich der Bußprediger, naß wie ein Pudel, schimpfend entfernte. Um diese Zeit herum zählte der Riedeselsche Hofglasermeister Frank– furt gewissenhaft die Fenster des Schlosses und rechnete aus, wie hoch sich eine vollständige Neuverglasung des Schlosses belaufen würde. Diese Rechnung war so verlockend, daß der brave Glasermeister einen Stein auf– hob - der Fahrweg des Hofes war mit Basalt geschottert - und ganz gemütlich die große Spiegelscheibe des Speisesaales zerschmetterte. Das war ein Signal, wie der berüchtigte erste Schuß. Ein Hagel von Steinen prasselte auf das Schloß. Bald war keine Fensterscheibe mehr ganz. Dazu schossen die Bewaffneten ihre Steinschloßbüchsen ab, was auch keinen geringen Lärm verursachte. Mit eingeworfenen Fensterscheiben gibt sich natürlich eine in ihrem Siegeslaufe durch nichts gehemmte Revolution nicht zufrieden. Man ging von den Fensterscheiben zum Mobiliar über. Spiegel, Glasschränke, Bilder, Marmortische, Standuhren, Porzellan, Kristall, alles; was einen guten Klang gibt, wanderte durch die öden Fensterhöhlen auf das Pflaster. Dann folg– ten die weniger zerbrechlichen Gegenstände, bis schließlich ein Bäuerlein auf den Gedanken kam, Frau Holle nachzuahmen. Es schnitt die Betten auf und ließ die Federn aus dem Fenster schneien. Dabei fand es bald viele Helfer. Nun stellten sich auch die Hyänen des Schlachtfeldes ein. Die braven Bürger des Städtchens begannen zu „retten". Sie schleppten alles, was ihnen noch brauchbar schien, nach Hause. Die Freiherren von Riedesel 80

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