Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Bei den Frauen überwog die Neugier den Schrecken; sie trauten sich früher an die Fenster als die Männer. Und die Rebellen sahen wirklich gar nicht schrecklich aus. Es waren keine pausbackigen, dickbäuchigen Bur– -sehen wie Fritz Reuters mecklenburgische Bauern, sondern mitleiderre– gende Gestalten, denen Hunger und Not aus den tiefliegenden Augen sahen. Dem Jahre 1848 war eine furchtbare Teuerung vorausgegangen. Die kleinen Bauern mit ihren armseligen Zwerggütern hatten den Hunger– riemen immer enger schnallen müssen. Die Herrschaft dagegen, wie die Barone von Riedesel allgemein genannt wurden, saß im Rohre und schnitt sich Pfeifen. Sie steigerte mit dem Hinweis auf die hohen Kornpreise die Pachten. Ohne Zupachtung aber konnten die kleinen Bauern nicht wirt– schaften, die von den hohen Kornpreisen nicht den geringsten Nutzen hat– ten, weil sie ja nicht einmal ihren eigenen Brotbedarf selbst zogen. Die N~t war so groß, daß ganze Gemeinden ihren Besitz für ein Spottgeld an die Herrschaft losschlugen und nach Amerika auswanderten. Die Zurückgebliebenen ließen Tag und Nacht den Webstuhl klappern, um wenigstens das trockene Brot im Hause zu haben. Die Fabrikanten zahlten freilich keine hohen Löhne, sie nutzten vielmehr die webende Landbevölkerung nach Kräften aus, aber sie waren die einzige Stelle, von der den kleinen Bauern in der schweren Zeit der Hungersnot bares Geld zufloß. Deshalb richtete sich der Groll der Bauern jetzt nicht gegen die Fabrikanten, zu denen auch mein Großvater gehörte, sondern allein gegen die Grundherren, die Barone von Riedesel, und ihre Beamten. Die ausgehungerten Bauern sahen also durchaus nicht schreckenerre– gend aus. Sie waren auch nicht mit Sensen oder Mistgabeln bewaffnet. .Nur .seinen Stock hatte jeder Bauer bei sich. Ging er doch ohne seinen selbst– geschnittenen Eichenstock, seinen persönlichen Stolz, überhaupt nicht in die Stadt. Einige Bauern trugen allerdings Gewehre, unförmliche Stein– schloßflinten ältester Form; aber sie wollten mit der offenen Zurschautra– gung ihrer Wildererbüchsen nur die damals von den Bauern fast überall gestellte Forderung völliger Jagdfreiheit besonders kräftig unterstreichen. Noch dachten die Bauern, auf friedliche Weise, durch das bloße Er– scheinen in Masse, die Herrschaft zum Nachgeben in der Jahrholzfrage bewegen zu können. Ihr Einzug in Lauterbach hatte deshalb eigentlich gar nichts Rebellisches an sich. Sie nahmen ihren Weg in Ruhe und Ordnung und dachten nicht daran, das Städtchen zu plündern, wovor die furchtsamen Bürger bangten. Inzwischen war mein Großvater um die Gelegenheit gebracht worden, seinen Namen in die Weltgeschichte zu schreiben. Er stand gerade mit entblößtem Oberkörper vor der Waschschüssel, als Wachthans „Bürger heraus!" rief. i „Sofort die Kleider herbei," befahl er seiner an eigenes Befehlen, aber nicht an das Befohlenwerden gewöhnten Frau, ,,ich muß begütigend ein– greifen. Die Bauern dürfen sich nicht zu Dummheiten hinreißen lassen." Meine Großmutter raffte schnell alle Kleidungsstücke, die im Zimmer waren, sogar die Stiefel, zusammen und warf sie, ohne ein Wort zu sagen, .auf den Gang, worauf sie das Schloß einklinken ließ und den Schlüssel drei– mal herumdrehte. Es war ein kunstreiches Schloß, das schon den Dreißig– jährigen Krieg überlebt hatte. Mein Großvater konnte die Tür unmöglich öffnen. Seiner höchst mangelhaften Toilette halber konnte er auch nicht -den ziemlich ungefährlichen Sprung aus dem Fenster wagen. Er blieb trotz .allem Toben und Schimpfen den ganzen Tag über der Gefangene seiner 79

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