Oberösterreichischer Volkskalender 1928

„Allons, enfants de la patrie, le jour de gloire est arrive",*) sang der alte Bauerndoktor, als er die Wohnstubentüre öffnete. ,,Die Zeiten der Freiheit kehren wieder. Krieg den Palästen, Friede den Hütten! Hoch die Republik! Miekäthchen, Kind der großen französischen Revolution wie ich, le jour de gloire est arrive! Nieder mit den Tyrannen!" Miekäthchen schnitt ein saures Gesicht; denn das alte Mädchen ließ sich nicht gern daran erinnern, daß es die Tochter eines französischen Ser– geanten war, der mit den ersten Revolutionstruppen, noch ehe man an Bonaparte dachte, ohne Schuh und Strümpfe und in zerrissenen Hosen über den Rhein gekommen war. Georg Friedrich hatte damals als Schuljunge am feierlichen Empfang der französischen Befreier teilgenommen, später dem General Davoust einen Backenzahn gezogen und noch später in Fulda dem großen Napoleon „Vive 'empereur!" - es lebe der Kaiser - zugerufen. Als schließlich der Korse auf St. Helena starb, bewahrte ihm Georg Fried– rich immer noch ein treues Andenken. ,,Im Garten zu Schönbronnen, Da liegt der König von Rom, Sieht nicht das Licht der Sonnen, Sieht nicht den Himmelsdom. Auf fernem Inselstrande, Da liegt Napoleon, Liegt nicht in seinem Lande, Liegt nicht bei seinem Sohn." Das waren die Verse, die er am liebsten deklamierte. Frau Barbara nötigte den alten Onkel an den Kaffeetisch. Er war ein besserer Schutz als die Schützenbüchse; denn, wenn auch seine Feigheit keine Grenzen kannte, die Bauern würden ihm sicher nichts tun. Da tönte die Ortssehelle von der Straße her. Der Polizist des Städt– chens, den die Lauterbacher respektwidrig Wachthans nannten, hatte offen– bar irgendeinen Auftrag des Gemeinderates auszurichten und befand sich ebenso offenkundig in dem gewohnten stark benebelten Zustande. Doch er brachte seine Botschaft immerhin noch an den Mann und schrie mit knat– ternder Kommandostimme: ,,Bürger, heraus!" ,Aux armes, citoyens!" (zu den Waffen, Bürger!), echote Georg Fried– rich aus dem rasch geöffneten Fenster. Da nahm jedoch Wachthans die Schelle unter den Arm und lief mit dem Rufe: ,,Die Rebellen kommen!" schleunigst davon, dem schützenden Rathause zu. Georg Friedrich war mit einem Satze vom Fenster weg. ,,Formez vos battaillon!" (stellt euch in Schlachtreihe auf!) rief er allerdings noch als letzten taktischen Rat den zitternden Frauen zu, dann aber verschwand er auch schon hinter den Vor– hängen des Alkovens und kroch, ohne sich um den schreienden Wider– spruch zu kümmern, in den er sich dadurch mit der Marseillaise, dem Schlachtgesang der großen französischen Revolution, setzte, unter das breite Ehebett seiner Nichte Barbara und ihres stadträtlichen Gemahls. Miekäthchen und Barbara waren nicht so schnell. Sie lachten noch über den furchtsamen Sohn der großen Revolution, da war auch schon die Straße, die den einzigen Zugang zum Marktplatze und zu der mitten in der Stadt gelegenen herrschaftlichen Burg bildete, mit den aufrührerischen Bauern angefüllt. *)' ,,Au~ Söhne des Vaterlands, der Ruhmestag ist gekommen." Beginn der Mar– seillaise, des französischen Revolutionsliedes. 78

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