Oberösterreichischer Volkskalender 1928

..... : ..................................................................................... Die Rebellen / Eine Geschichte aus dem Jahre 1848. Der deutschen Revolution im Jahre 1848 ging die französische Februar– revolution voraus, die dem König Louis Philipp den Thron kostete. In Deutschland brach die Revolution anfangs März aus. Die Sturmvögel, die vor ihr herflatterten, waren die Bauernaufstände in Süd- und Mitteldeutsch– land. Im Großherzogtum Hessen schlugen die Bauern schon in den ersten Märztagen los. Am größten war die Erbitterung im Riedeselschen Gebiet. Dort war die Leibeigenschaft noch nicht ganz abgeschafft. Die Freiherren von Riedesel übten die Gerichtsbarkeit aus und hatten in ihrer Gerichts– herrschaft den Grund und Boden fast ganz in ihrem Besitze. Die Bauern waren ihre Pächter oder Tagelöhner und durften ohne Genehmigung der Herrschaft die Scholle nicht verlassen. Die Freiherren von Riedesel erteil– ten diese Genehmigung jedoch gerne, wenn die Bauern, was sie in den vier– ziger Jahren in Scharen taten, nach Amerika auswanderten. Die Herrschaft schluckte dann die letzten Reste des bäuerlichen Grundbesitzes. Anfangs März 1848 sollten endlich die Leibeigenschaft und die persön– lichen Dienstleistungen der Bauern abgelöst werden. · Dafür aber wollten sich die Herren von Riedesel der uralten Verpflichtung entziehen, den Bauern das Brennholz umsonst zu liefern. Die Bauern widersetzten sich dem, die hessische Regierung sandte jedoch eine Kömmision, die den Herren von Riedesel recht gab. Nun entlud sich die Erbitterung der Bauern in einem offenen Aufstande. Diese Rebellion, von der mir meine Großmut– ter als Augenzeugin so oft erzählt hat, soll der Gegenstand unserer kleinen Geschichte sein. * . Es war am frühen Nachmittag des 3. März 1848, als mein Großvater in seiner Heimatstadt Lauterbach direkt vor seinem Hause der Frankfurter Post entstieg. Der gutgeschmierte Turn- und Taxissche Kondukteur ließ den Riesenomnibus guten Bekannten zu Gefallen auch vor der Ankunft auf der Station halten. Mein Großvater, damals ein rüstiger Dreißiger, schleppte sich, mit Kof– L-rn und Musterkasten beladen, die hohe Treppe hinauf, wo ihn seine junge Frau, meine Großmutter, mit innigen Begrüßungsküssen empfing. Er kam von der großen Frühjahrsgeschäftsreise unerwartet schnell zurück. Sie traten in das geräumige Wohnzimmer, in dem die Frau seines Bru– ders, die zugleich auch die Schwester seiner eigenen Frau war, hinter dem Kaffeetisch saß. Neben ihr wiegte eine alte Jungfer, die die im Zimmer lagernden Stöße weißen Leinens als Näherin auswiesen, ein zwei Monate altes Kindchen, meine Mutter, auf dem Schoße. Nach allgemeiner herzlicher Begrüßung kam man sofort auf die Politik zu sprechen. „Es geht los!" rief mein Großvater lebhaft. ,,In Baden, in der Pfalz, am Main und am Rhein - überall gärt es gewaltig; es war kein Geschäft mehr zu machen. In ein paar Tagen sind wir mitten in der Revolution." 76

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