Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Er brach jäh ab und blickte auf Ellen, die hell von dem Lichte bestrahlt am Fenster stand. Warum trägst du eigentlich immer mit Vorliebe diese pfirsichfarbenen Kleider? Sie kleiden dich nicht, passen nicht zu deinem Typ ... ich weiß nicht, früher hattest du einen so guten Geschmack ..." Sie stand bewegungslos am Fenster und schaute in die Nacht: ,,Vielleicht bin ich alt geworden ..." Er lachte geräuschvoll auf. ,,Alt? Lächerlich - du mit deinen noch nicht vierzig Jahren ... Nein, nein, Ellen, alt wollen wir noch nicht sein ..." Sie lächelte, ein leises trauriges Lächeln, und Heinz sah nicht, wie der Blick ihrer Augen hoffnungslos erlosch ... Geschichtliche Anekdoten. Treffender Unterschied. Auf einer Soiree bei Friedrich Wühehn IV., König von Preußen, wurde die Frage aufgeworfen, welches der Unterschied zwischen dem Papst und Rothschild sei. Der König soll geantwoTtet haben: ,,Der Papst ist der Beherrscher aller Gläubigen, Rothschild aber ist der Gläubiger aHer HerTsch 1 er!" - Und er mußte es doch wissen. Talleyrand hatte ein ziemlich drol!liges M!ittet, auf der Straße von unbequemen Bekannten loszukommen. Konnte ,er einem solchen Menschen nicht mehr ausweichen, so begrüßte er ihn freundlich1, drückte ihm plötzlich mit einem mephistophelischen Lächeln di'e Hand und sagte mit einem Seitenblick auf den ersten besten des Weges Kommenden lteise: ,,Verzeihung, ich rette mich, ich will einem langweiligen Kerl ent– schlüpfon". - Und der Stehengelassene lächelte verständnisinnig. Treffende Antwort. Der durch seine lüsternen Romane bekannte Cr 1 ebiUon prahlte einst Rousseau gegenüber, daß sein Verl-eger im letzten Monat bereits vier Auflagen seines jüngsten Werkes verkauft h 1 abe, während in dieser Zeit nQCh !lange nicht die erste Auflage von Rousseaus „Neuer Heloise" abgesetzt worden. - ,,Nun ja," meinte Rousseau ruhig, ,,man kann mit Sicherheit annehmen, daß jährlich mindestens eine MiHion' mehr Eicheln als Ananas verzehrt werden, aber - wer' verzehrt sie?" Swift sagte in einer seiner Predigten: ,,Meine Freunde, es gibt vier Hauptarten des Stolzes: d•en auf hohe Geburt, auf Reichtum, auf körperliche Sch'önheit und geistige Talente. Da die letzteren bei euch alis nicht vorhanden betrachttet werden können, so brauche i'ch von dieser Art des Stolzes nichts weiter zu sagen." - Als einträglichste Steuer schlug einst Swift die Steuer auf weibliche Schonheit vor; es sol1ten jedoch als Taxatoren nicht etwa Männer bestellt werden, sondern jede habe ihre Reize selbst zu schätzen. Ei'ne solche Taxe, meinte Swift, würde selten zu niedrig, ausfallen, gern bezahlt und für den Staat eine 1ieiche Quelle des Einkommens werden. Miltoniana. Der als Dichter und Politiker gJ,eich große, am mei'sten durch sein Epos „Das verlo1iene Paradies" berühmte John Milton (1608 bis 1674) 1 gab auf die Frage, wie er es erkläre, daß man in manchen Ländern den Thronerben zwar nach vollendetem vier– zehnten Lebensjahre für regierungsfähig erkläre, ihm aber noch im achtzehnten die ErJtaubnis 1, sich zu vermählen versage, di,e beißende Antwort: ,,Es geschieht dti'es aus dem Grunde, weil es schwerer ist, ein Weib, als ein Volk zu regieren." - Ein andermal wurde Milton von einem Bekannten gefragt: ,,Ist's mögHch, Sie wollen Ihre Tochter Ihr,em ärgsten Feinde zur Frau geben?" ,,Allerdings," versetzte der Dichter, ,,um mich an ihm zu rächen." 75

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