Oberösterreichischer Volkskalender 1928

.Mattinata ·; Novelle einer Ehe von Alfred Brie. Sie lehnte mit geschlossenen Augen und lachenden Lippen an der Balkonbrüstung. Ihr ganzes Sein war von einem Glücksgefühl erfüllt, so stark, so berauschend, so überwältigend, daß sie fürchtete, es könne nur ein Traum sein, es könne der nächste Augenblick sie in die Wirklichkeit zurückrufen, in der nichts war von dem, was sie so~ben erleb~ hatte. Langsam, schwer hoben sich ihre Augen und streiften mit einem Blick unendlicher Liebe das Gesicht des Mannes ·an ihrer Seite, dem sie vor wenigen Minuten gelobt hatte, sein Weib zu werden. Und eine heiße, nie gekannte Welle von Zärtlichkeit wallte in ihr auf. „Ich bin glücklich," sagte sie leise, ,,so glücklich, daß. ich mich davor fürchte . .." Er lachte hell auf, ein klingendes, singendes Lachen, und nahm sie in seine Arme: ,,Du fürchtest dich, Ellen? Wie kindlich du noch bist, mein Lieb, das ist doch erst der Anfang unseres Glückes." Sie erwiderte seinen Kuß, dann wehrte sie ihn von sich ab und blickte ihn prüfend in die Augen. ,,Wenn ich sicher wäre, ob die Zukunft alles halten wird, was die Gegenwart verspricht." · Er schloß ihr den roten Mund mit seinen Lippen und selbstvergessen, wunschlos ruhte sie in seinem Arm. Da klang aus dem Saal, in dem die anderen tanzten, eine Melodie zu ihnen herüber, süß, betörend, und den beiden war es, als seien sie allein auf der Welt, und um sie erklangen die Harmonien der Sphären. Er war der erste, der das Schweigen brach, als die Musik geendet. ,,Welch wunder– bare Melodie. Weißt, wie sie heißt, Kind? Es ist die „Mattinata?" von Leoncavallo, meine Lieblingsmelodie." „Mattinata?" wiederholte er gedankenvoll, ,,ich glaube, wir werden diese süße Melodie nie vergessen, und immer, wenn wir sie hören, werden wir uns dieser Stunde erinnern, der glücklichsten unseres Lebens." . Er nahm ihre Hand und küßte zärtlich ihre Finger. ,,Merkwürdig," fuhr er fort, ,,wie manche Dinge uns im Gedächtnis haften bleiben ... so werde ich nie vergessen, was du für ein Kleid anhattest, als ich dich das erste Mal sah: es war Samt, von der Farbe des Pfirsichs, und um deinen Hals trugst du eine zarte Perlenkette. Himmel, wie schön warst du damals, und wie schön bist du heute ... und wie schön wirst du immer für mich sein." Seine leise einschmeichelnde Stimme klang wie Musik in ihr Ohr, da fiel ein Schatten in den schmalen Lichtstreif, der den Balkon erhellte und ein Herr in Mantel und Hut trat über die Schwelle. ,,Verzeihe, Heinz, aber es ist die höchste Zeit, wir werden im Klub erwartet." Heinz neigte sich zu Ellen: ,,Sei nicht böse, Lieb, aber ich muß fort .. . eine Verabredung im Klub ... ich wußte ja nicht ..." Sie zog ihre Hand aus der seinen und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Eine Falte Unmuts furchte ihre Stirn, aber ihre Stimme klang klar und ruhig, als sie erwiderte: ,,Wenn du verabredet bist, mußt du natürlich gehen. Ich will dein Ver– gnügen nicht stören ..." 73

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