Oberösterreichischer Volkskalender 1928

guckt, so daß er ihrer schon genug eingeliefert hat, das hat ihn ganz und gar nicht beliebt gemacht im Bergrevier. Das kümmert den Loidl aber nicht, er tut gewissenhaft seine Pflicht, ist bei seinem Jagdherrn wohl gelitten, bekommt pünktlich seinen Monatslohn, den er sich draußen im Markt– flecken holt und zugleich Rapport erstattet. Ins Wirtshaus geht der Loidl ohnehin, aus mehrfachen Gründen, nicht, denn erstens erlaubt es der Gehalt von ganzen fünfundzwanzig Gulden per Monat nicht und zweitens bekommt der Jäger am Biertisch nicht gerade angenehmes zu hören, wenn just Burschen und Bauern rumsitzen, denen er zur näheren Bekanntschaft mit dem Gemeindekotter verholfen hat. Und wenn der Lackner Naz erst drinnen wäre beim Schnaps, dann gute Nacht, da wär' die G'schicht denn doch bedenklich. Ist eine eigene Sache das mit dem Naz und dem Loidl. Um die Zeit war's, daß die Wildgänse flogen und die welken Blätter von den Bäumen raschelnd zur erstarrenden Erde fielen. Die Zacken und _ Felsenriffe trugen schon dichte Schneemützen, eisig kalt wehte der Wind durch Wald und Flur in ungestümer Weise, daß die Leute die Hände tief in die Rock- und Hosentaschen vergruben und die Zipfelmütze tief über die Ohren herabzogen. Ueber Nacht ist dichter Neuschnee auch schon im Tale gefallen, die Zeit der Gamsbrunft naht. Jeden Tag erwartet der Loidl den Jagdherrn, das Wetter wäre gerade jetzt prachtvoll zur ergiebigen Jagd, denn oben am Grad kann man schier ohne Spektiv die Gams wie schwarze Teufel herumjagen und mit kühnen Sätzen in die Wände ein– springen sehen. Loidl hatte bereits einen prächtigen Brunftbock bestätigt, die Treiber waren bestellt, alle Anordnungen waren getroffen. An einem Abend zog Loidl aufwärts, um sich eines Standes für den Trieb noch zu versichern. Mühselig genug war der Aufstieg, ohne Eisen war es nicht mehr möglich, über die beeisten Felsen emporzukommen, allein mit der Geschmeidigkeit der Gemse klemm der Jäger aufwärts dem Wechsel zu, von wo er bereits das Pfeifen des Leittieres vernehmen konnte. Die schnell hereinbrechende Nacht trieb zur Eile. . Dort oben muß an jenem bitterkalten Abend sich etwas Furchtbares zugetragen haben. Genau weiß es niemand, nur so viel ist bekannt, daß der Loidl mit dem Hauptwildpratschützen Nazl zusammengeriet, der Ab– sichten auf den Brunftbock hatte und ihn holen wollte, ehe der Jagdherr dazu kam. Zum Schießen war es bereits zu finster, sie kämpften mit Berg– stock und Messer und zuletzt am vereisten Boden mit den Fäusten und Zähnen. Der furchtbare Kampf auf dem lebensgefährlichen Terrain endete plötzlich. Nazl unterlag und erhielt eine schreckliche Wunde, er verlor die Nase. Ob sie ihm der Jäger abgebissen oder abgeschnitten, man weiß es nicht. Der Naz gab den Kampf auf, und er wäre die Wand hinunter– gesaust, wenn ihn nicht der Jäger gerade noch rechtzeitig erwischt und oben gehalten hätte. Mitten in der Nacht brachten sich beide durch gegen– seitige Hilfe hinunter. Am nächsten Morgen war der Naz verschwunden. Der Jagdherr blieb aus, die Gemsen traten unbehelligt in die Schon– zeit. Von einer Anzeige sah der Loidl ab, wie er in Erfahrung brachte, daß der Naz ausgewandert sei. Wozu auch einen Verschollenen anzeigen? Der Bezirksrichter draußen im stundenweit entfernten Gerichtsflecken hat keine Freude an solchen Anzeigen, wenn der attrapierte Dieb nicht gleich mit dem Wild eingeliefert werden kann; ja er konnte ganz mörderisch grob werden, wenn dies nicht geschah. In tiefer Stille und Ruhe verging der Winter, dann zog der Lanks ins Alpenland, die Hahnen waren zum Ver– losen und wurden abgeschossen. Die Almen wurden bezogen und dann kam wieder die Schußzeit der Gemsen. 6n

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