Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Von der Kufsteiner Kirche schlägt es bereits vier Uhr, sachte beginnt es zu dämmern und noch immer ist nichts, absolut nichts zu sehen. ,,Durch" ist der Regulator nicht, wenigstens auf der Landstraße nicht. Der Ober– zollaufseher wird „springgiftig" und gibt das Signal zum „Sammeln". Kei– ner der Grenzer hat etwas wahrgenommen, trotz der gespanntesten Auf– merksamkeit nicht das Geringste. Bis auf die gewöhnliche Wache wird das Personal entlassen, mit dem Bedauern auf den nicht erwischten Zehn– markpreis kriecht alles in die Federn zur verspäteten Nachtruhe. Am ärgerlichsten der Oberzollaufseher, der schon im Bett dem Kufsteiner furchtbare Rache schwört. Mitten im Sinnieren, wie er den Tiroler „schlen- " ken" (uzen) kann, schlägt es im Zimmer deutlich fünfmal und fröhlich tickt es dann weiter im gleichmäßigen Tempo. Schockschwerenot! Mit einem Satze ist der Oberzollaufseher aus dem Bette. Richtig, in der Ecke hängt eine Pendule, ein Regulator, s e in Regu– lator von Kufstein, vollständig aufgezogen und auf die Minute die richtige Zeit anzeigend. Der Aufseher greift sich an die Stirn, er zwickt sich in die Ohrläppchen, um sich zu versichern, ob er wacht oder träumt. Nein, es ist kein Traum, der Regulator ist wirklich da. W i e der aber nber die Grenze kam? Die Erklärung dafür muß er augenblicklich haben. Das ganze Haus wird alarmiert, die erschrockenen Grenzer fahren aus den Federn und greifen nach den Waffen, als wäre die Station überfallen. Kein Mensch weiß, wie der Regulator hereingekommen ist. Eine ganz unfaßbare Geschichte. Alle Hausbewohner werden vernommen, zum Schluß auch der Kut– scher. Der war nicht wenig erstaunt, daß wegen des Regulators so ein Spektakel verursacht wird. Wie der Regulator ins Zollhaus kam? Ganz einfach. Der Kufsteiner Uhrmacher übergab dem Kutscher die Pendule für den Herrn Oberzoll– al;lfseher, und ohne weiter was zu denken, schob der Kutscher die Uhr in den leeren Futtersack und fuhr mit dem Herrn und der Uhr im Wagen gemütlich heim. Zur Abendfütterung fand der Kutscher den Regulator wieder, hing ihn im Zimmer seines Herrn auf und dachte weiter an nichts, als an Roß und Stall. Das ganze Grenzpersonal lachte, wie es den Sachverhalt erfuhr. Nur der Oberaufseher nicht, der selbst zum Schmuggler geworden war. Er verzollte die Pendule ordnungsgemäß, zahlte die verlorene 'lv ette, und seit jenem Tage trägt er den Spitznamen: der „Grenzregulator". Der Bettellods - f\dam.* Ein seltsamer Mensch, dieser siebzigjährige Adam. Ein dürres Männ– lein, gebeugt von der Last der sturmdurchtosten Jahre, mit einem falten– reichen Gesicht, aus dem aber die listigen Augen ganz jugendlich in die stolze Bergwelt blicken. Man könnte den Gesichtsausdruck gutmütig und treuherzig nennen, wenn nicht die kleinen Augen eine große Schalkhaftig– keit und Klugheit verrieten, die sich gewöhnlich zum Schaden anderer Leute bekundet. So alt der Adam ist, zur Arbeit·nach bäuerlichen Begrif– fen wäre er noch immer tauglich, aber er mag nicht, schon seit schier einem Menschenalter nicht; er geht lieber „pechern" und bettelt dabei. Pechern- * Bettellod, Bettelloder, ein liederlicher, arbeitsscheuer, von Bettel lebender Mensch. 60

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