Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Moorhofer erhielt in diesem Augenblicke eine so wuchtige Ohrfeige, daß er darüber erwachte. Nur eines schien ihm noch zugunsten der guten alten Zeit zu sprechen, und er glaubte, den schlagendsten Beweis dafür erhalten zu haben, daß die Menschen damals viel kräftiger waren; leider stellte es sich aber sofort heraus, daß sein Weib, das er diese Nacht schon einmal durch sein spätes Heimkommen und jetzt wieder durch sein Ge– schnarche aufweckte, ihm die Maultasche hinübergereicht hatte. Er nahm sich vor, nicht mehr in den Tisch zu schlagen, wenn die Rede auf die guten alten Zeiten käme, und des Schulmeisters Ausspruch gelten .zu lassen, daß jetzt, wo jeder selbst dazu sieht, wie er seine Sache fördere und vorwärts bringe, der Bauer nicht zurückbleiben dürfe. Schlagende Wetter. / Skizze von Willi Heinsohn. ,,2976" rufe ich im Gedränge und Stimmengewirr vor der Marken– ausgabe; kaum ist das ,,- - zig" von meinen Lippen, da klappert die runde Fahrmarke vor mir auf das Sehalterbrett. Die Treppe hinauf - bei der Lampenausgabe die dreieckige Messing– marke gegen die Lampe eingetauscht - ein drehender Griff: die Lampe brennt - zum Schacht 1. Donnernd stößt gerade der heraufkommende Korb gegen die schwe– ren Sehachtdeckel, hebt sie hoch und hält nun schwankend vor uns. Der Bedienungsmann öffnet mit seinem Knüppel das Fallgitter - wir treten in den Korb. Sogleich ist der köstliche Frühlingswind, der uns hier oben umspielt, verschwunden; teer- und kohlengeschwärzte Luft lä:3t uns den sonnigen Tag draußen vergessen. Teng, peng schrillt ein Glockenzeichen. Hängen! Langsam setzt sich der Korb in Bewegung, der Sehachtdeckel schließt sich über uns, und sau– send stürzen wir in die Tiefe. Sohle 1, 2 und 3 huschen als Lichter vorbei. Das Wasser spritzt. - - Dann nach Sekunden setzt sich dem Fallen ein Widerstand en1gl:'gen. Es wird gebremst. Langsam die letzten Meter abwärtsgleitend, halten wir auf Sohle 4 - 700 Meter unter Tag. Mit dem alten Jürn, unserm Ortsältesten, mache ich mich auf den Weg durch Querschläge, Strecken und Stollen, auf schwankenden Brettern über Wasserlöcher tappsend, über Schienen stolpernd, im Hauptquerschlag den Oberkörper gegen den von oben eingepreßten Luftstrom vorstemmend. Wettertüren öffnen sich vor uns und schließen sich krachend hinter uns. Hin und her schwankende Lichter tauchen vor uns auf, bleiben hinter uns zurück. Wir selbst mit unseren Lampen sind für die Zurückbleibenden solche Lichter. Der Mensch ist hier unten nichts - unsere Lämpchen alles. Wehe, wenn sie erlöschen! Beim Einbiegen in Revier 8 stehen wir plötz– lich drei dieser Lichter gegenüber. Eins schwankt hoch und beleuchtet einen Augenblick das zerfurchte Gesicht Jürns. Eine Stimme lärmt in der Stille: ,,Giv acht, Jürn, es wettert all wieder". Dann sind wir wieder allein. „Es wettert all wieder", jetzt weiß ich auf einmal, weshalb der sonst so gern erzählende Jürn den ganzen Weg über so schweigsam war. Wir arbeiten am Ende eines steigenden Stollens. Die in den Hohlräumen der Kohle und des Gesteins befindlichen Gase - die Wetter - entweichen 56

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