Oberösterreichischer Volkskalender 1928

,,,Sie haben wohl den Schuß wieder gestohlen und verkauft? - Ein reiner Fetzen ist die Ware. - Sie haben zwei Kronen Strafe." Dröhnend warf er die Stücke aufeinander, ging zum Schreibpult und schrieb den Lohnzettel. „Da haben Sie." Ohne den Weber anzublicken, reichte er ihm den Zettel. """•f:i;!ll 1 ,,Herr - Herr - Spindler, Herr Spindler, ich möchte Sie schon bitten, \VC'Iln -" ,,Dort ist die Kasse!" Wortlos taumelte er zur Kasse, wortlos steckte er das aufgezählte Geld ein - nahm seine Kette und verließ das Lokal .... In den Straßen der Stadt herrschte reges Treiben. Männer und Frauen eilen, mit Paketen bepackt, ihrem Heim zu. Andere trugen Tannenbäum– chon auf den Schultern, die einen angenehmen Duft verbreiteten. Freunde schüttelten sich die Hände, wünschten sich gute Feiertage und eilten davon. Durch die eisüberzogenen Fenster drang greller Lichtschein, der noch mit dem schwindenden Tageslicht kämpfte. Helle, freudige Kinderstimmen mischten sich in das Heulen des Windes, der durch die Gassen strich und mit den niederfallenden Schneeflocken spielte. Eilig schritt der Weber dahin. Er kam an einer Kirche vorüber. Durch die offene Tür drang Orgelspiel und Gesang; von dem Turm läuteten die Glocken, das stimmte ihn fast feierlich. Ohr. „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen", klang an sein Er blieb einen Augenblick stehen. ,,Friede - Friede", murmelte er. Da tauchte wieder das fratzenhafte Gesicht des Herrn Spindler vor ihm auf. ,,Strafe! - Strafe!" schrie wieder jene entsetzliche Stimme. „Hund, verfluchter!" schrie er laut. Die Leute blieben stehen und sahen ihn mißtrauisch an - der Weber eilte davon. In einer Branntweinschenke kaufte er sich eine Flasche Schnaps, dann eilte er weiter durch Gassen und Gäßchen, bis er ins Freie gelangte. Der - Wind entwickelte sich zu einem regelrechten Sturm - massenhaft fiel der Schnee. Von Zeit zu Zeit, wenn ihn die Müdigkeit übermannen wollte, zog er seine Flasche und nahm einen Schluck. Ah, wie wärmte das, wie ging das in alle Glieder. Das dauerte aber nur einen Augenblick, dann wurde die Müdigkeit noch größer. Der Berg war steil, die Bürde schwer, immer öfter und öfter mußte er stehen bleiben, um sich einen Moment auszuruhen. Ein entsetzliches Hungergefühl peinigte ihn, doch hatte er nichts, um es zu stillen. Wieder trank er Branntwein, doch wollte auch der seine Wirkung nicht mehr tun, da die Kräfte schon versiegt waren. ,,Dort oben ist die Kapelle, dort werde ich mich ein bischen ausruhen", stammelte er, während kalter Schweiß über sein Gesicht rann. Noch zehn Schritte - noch fünf - noch einen - endlich. Er warf die Bürde auf die kalten Steinfliesen, setzte sich darauf und lehnte sich in den Winkel. „Nur ein bischen ausruhen, bis die Schwäche vorüber ist, dann geht es schon wieder besser." Der Sturm heulte über die schneebedeckte Landschaft. Glockentöne drangen an sein Ohr, in das sich das Schreien ruhesuchender Krähen mischte. 48

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