Oberösterreichischer Volkskalender 1928

....................................................................................... ....................................................................................... .................................................................. ........................................................................................ •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••u•••••••••u•• Erlöst / Aus „Die Namenlosen" von Ferdinand Hannusch Der letzte Weber hatte soeben den großen Ablieferungsraum der Firma Klinger .verlassen. Obwohl noch zehn Minuten auf 3 Uhr fehlten, drangen doch schon die ersten Schatten der Dämmerung durch die hohen Fenster. „Endlich!" seufzte Herr Spindler schwer auf, Schere und Brille auf die polierte Tafel werfend. Er suchte seinen gebogenen Rücken gerade zu richten, wobei sich sein Gesicht schmerzlich verzog. Ein leises, furchtsames Klopfen an der Tür wurde vernehmbar. Das Gesicht Spindlers zog sich in Falten, die Zornesader schwoll ihm an, seine Augen sprühten Haß. „Herein! - Ob man den heute einmal Ruhe haben wird." Seine Augen hefteten sich wütend an die Tür. Ein altes, zusammengeschrumpftes Männ– chen, das eine schwere Bürde auf seinem Rücken noch mehr zusammen– drückte, zwängte sich durch sie. „Guten Tag, Herr Spindler!" grüßte der Mann demütig, während er seinen derben Knotenstock in den Winkel lehnte. ,,Heut schon etwas spät," fuhr er entschuldigend fort, als er das mürrische Gesicht des Unterneh– mers sah. ,,Her da! - Her da!" kommandierte Spindler statt aller Antwort. „Wenn das Geschäft bis um neun Uhr offen wäre, würdet Ihr um zehnc auch noch kommen." Er riß dem Alten die Ware wütend aus den Händen, setzte sich die Brille auf, nahm die Schere zur Hand und fing an zu blättern. Das bartlose Gesicht des Webers wurde erdfahl, die tiefliegenden, von buschigen Brauen beschatteten Augen starrten wie geistesabwesend auf die weiße Leinwand. ,,Herrgott, das ist wieder ein Schund von einer Ware", fuhr der Ueber- nehmer auf. ,,Da haben Sie eine ellenlange Fadenstraße." Er blätterte weiter. ,,Da ein Nest wie ein Scheunentor." - Der Weber fing am ganzen Leibe zu zittern an. ,,Sie Schwein, Sie können sich wohl Ihre Pfoten nicht abwaschen, bevor Sie hinter den Stuhl steigen - was? - Da schauen Sie sich die Flecke an!" Der Weber neigte den Kopf - sah aber nichts als ein großes Stück Leinwand, das immer größer und größer wurde. Im Hintergrund stand ein vielfüßiges Ungeheuer mit einem häßlichen, fratzenhaften Gesicht, das an <ler Leinwand zerrte. „Strafe! - Strafe!" schrie es mit einer furchtbar häßlichen Stimme, die <dem alten Mann durch Mark und Bein ging. 47

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