Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Die politische und gewerkschaftliche Bewegung unter der Arbeiter– schaft Chinas hat gewaltige Fortschritte gemacht, und wenn die ·dermaligen Wirren auch noch nationalen Charakter tragen, der sich speziell gegen die Uebergriffe der Fremden richtet, so ist damit doch schon der Weg zur Freiheit beschritten, denn über die nationale geht die so z i a 1 e R e vo- 1 u t i o n. Für die europäische Arbeiterschaft sind die Kämpfe im fernen Osten von ungeheuerer Wichtigkeit. Leider werden die Vorgänge am asiatischen Kontinent von vielen nicht mit dem nötigen Interesse verfolgt. Nach jahrhundertelanger schamloser Ausbeutung ist der chinesische Kuli erwacht; sein Kampf gegen die bevorrechteten Sklavenhalter ist der Kampf der europäischen Arbeiterschaft, deren Macht schon weiter vorgedrungen ist. Zur Bezwingung des internationalen Kapitales ist der Emanzipations– kampf des chinesischen Proletariats von eminenter Wichtigkeit, und ist nur zu wünschen, daß der Kampfeswille der chinesischen Arbeiterschaft nicht ' erlahme und ihm dereinst verdienter Erfolg werde! Während diese Zeilen in Druck gingen, kämpfte die ganze gesittete Welt gegen das Verbrechen eines J u s t i z m o r d e s, das die nordameri– kanische Gerichtsbarkeit in Ma s s ach u s et t s skrupellos begangen hat. Was sich da in der „neuen Welt" abspielte, ist das Bild von Schattendorf, nur umgekehrt in der Erscheinungsform! In Oesterreich sprechen die Geschworenen jeden Arbeitermörder frei, und die „100prozentigen" in Amerika überliefern jeden Arbeiter dem elektrischen Stuhl, der die Metho– den des Arbeitermordes bekämpft. Im April 1920 erfolgte die Ermordung des Kassiers einer Schuhfabrik; den Mord begleitete der Raub von 15.000 Dollars. Des Mordes verdächtigt wurden zwei Italiener namens Sa c c o und Van z et t i, die ihrer Ueber– zeugung nach Tolstoianische Sozialisten sind. Sie wurden verhaftet und, trotzdem man ihnen die Tat nie beweisen konnte, schuldig gesprochen. Damals setzte in Amerika eine wütende Sozialistenhetze ein, und so m u ß– t e n Sacco und Vanzetti, die als „Anarchisten" behördlich angekreidet waren, aber einen makellosen Leumund besitzen, verurteilt werden. Sieben Jahre schmachteten die beiden bereits im Kerker, und alle Bemühungen ihrer Verteidiger um die Schuldlosigkeit der zwei zum Tode Verurteilten waren erfolglos. Unzähligemale wurde die Urteilsvollstreckung verschoben, nun hat sie am 23. August 1927 stattgefunden. Ein Sturm der Entrüstung durchtobte ob dieses Justizverbrechens die Welt. Protestversammlungen fanden über– all statt, in Amerika explodierten Bomben, flogen Kirchen in die Luft, wurden Häuser in Brand gesteckt. Die amerikanische Bourgeoisie ließ durch Maschinengewehre und Tränengasbomben die Massen, die das Gefängnis stürmen wollten, zurückhalten. Sacco und Vanzetti aber mußten, wie der Obmann jener Jury, die sie vor sieben Jahren verurteilte, erklärte, f „auf jeden Fall sterben, ob schuldig oder unschuldig". Die Vollblutameri– kaner sagten sich, lieber zwei Menschen unschuldig hinrichten, als die „Autorität" der Gerichtsbarkeit anzutasten. Und so mußte das Drama der beiden Unglücklichen, das sieben lange Jahre dauerte, seinen blutigen Abschluß finden. Erinnert dieser Vorgang der amerikanischen Gerichts– barkeit nicht an die Anschauungen der österre.ichischen Bourgeoisie, an den Gedankengang jener zwölf Wiener Geschworenen, die dem Arbeiter– morde einen Freibrief ausstellten? ..... Der Bruch Englands mit S o w j e t r u ß 1 a n d hat die Kriegsgefahr von neuem in die Nähe gerückt. England versucht, die europäischen Mächte in seine Interessensphären zu ziehen, um so dem verhaßten Sowjetstern, der 41

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