Oberösterreichischer Volkskalender 1928

jederzeit zum Teufel jagen kann. Durch die Annahme einer Regierungs– vorlage im Prager Parlamente wurde den S o 1d a t e n u n d d e r G e n– d a r m e r i e d a s W a h 1r e c h t g e r a u b t, unbekümmert darum, daß ein solcher Beschluß einen nackten Verfassungsbruch beinhaltet. Wegen einer in scharfen Worten gehaltenen Entschließung gegen die Sprachen– verordnung mußte die gesamte Gemeindevertretung von P e c h g r ü n bei Ellbogen (14 Mann) von acht Tagen bis zu drei Wochen in den Arrest wan– dern. Wegen einer Notiz, daß ein tschechisches k 1 e r i k a.l e s Institut in Zahlungsschwierigkeiten geraten ist, wurden anfangs des Jahres 1927 in der Tschechoslowakei an einem Tage 36 Z e i t u n g e n k o n f i s z i e r t! Um die „Freiheiten" der tschechischen Republik restlos zu illustrieren, sei noch vermerkt, daß am 27. Jänner d. J. vier kommunistische und ein nationalsozialistischer Abgeordneter wegen ihrer Obstruktion bei der Ver– handlung über die Zölle und Kongrua im Parlamente zu vi~r, bezw. drei Monaten unbedingt verurteilt wurden; sie hatten das „Verbrechen der Gewalttätigkeit gegen verfassungsmäßige Faktoren" begangen. Angesichts solcher Tatsachen ist wohl jedes Kommentar überflüssig! Der zusammengebrochene Generalstreik in Eng 1an d hat das dortige Unternehmertum kühn gemacht. Die englischen Scharfmacher haben im Unterhause eine Gesetzesvorlage über das Gewerkschaftswesen einge– bracht, die alle Streiks für ungesetzlich erklärt, die bestimmt sind, einen Zwang auf die Regierung auszuüben oder die Allgemeinheit einzuschüch– tern, ferner jeden Streik verbieten, der sich nicht auf einen Streit innerhalb des betreffenden Industriezweiges bezieht (also jeden Sympathiestreik). Für Zuwiderhandlungen sind schwere Geld- und Gefängnisstrafen vorge– sehen. Das Streikpostenstehen bei der Arbeitsstätte wird verboten, wenn die Streikposten so zahlreich sind, daß sie „einschüchternd" wirken. Trotz des energischen Widerstandes der Vertreter der Arbeiterpartei hat das Unterhaus das Antistreikgesetz mit 354 gegen 139 Stimmen angenommen. Ein ähnliches K n e b e 1u n g s g e s e t z wurde im n o r w e g i s c h e n Parlamente angenommen, wodurch eine „Zwangsschiedsgerichtsbarkeit" bei Arbeitskonflikten zu entscheiden hat. Im großen „R e ich de r Mitte" tobt schon seit Monaten die natio– nale Revolution. Das chi n e s i s c h e V o 1k mit seiner jahrhundert alten Kultur ist es satt geworden, sich vom europäischen Kapitalismus länger knechten und ausbeuten zu lassen. Der Raub- und Beutezug des europäischen Kapitals in Asien kannte keine Grenzen mehr; Ländergebiete wurden dem Mongolenreiche einfach ohne viel Federlesens weggerissen, Zölle diktiert usw. Die Vermessenheit der europäischen Diktatoren ging sogar soweit, daß in den europäischen Stadtvierteln chinesischer Städte an den Häusern Tafeln mit den Aufschriften „Hund e und Chi n e s e n h a b e n k e i n e n Z u t r i t t" zu lesen waren. Die Barbarei des Kapi– talismus in Reinkultur! Die Brutalität der auf ihre Intelligenz so einge– bildeten „weißen Rasse" rief in China schon im Jahre 1900 den Boxer– aufstand hervor. Damals schickten die europäischen Großmächte unter deutschem Befehl Truppen nach China, um der gelben Rasse, die es wagte, den Profitsack der Europäer in Gefahr zu bringen, den nötigen Respekt beizubringen. Heute ist derartiges ausgeschlossen. Die asiatische Welt hat sich während des Krieges emanzipiert, sich unabhängig von Europa und dessen Industrie gemacht; der chinesische Kulis, einst ein rechtloses Ausbeutungsobjekt, ist sich seiner Kraft und Macht bewußt geworden, und hat den Wert des organisatorischen Zusammenschlusses seiner Klasse zur Bekämpfung der Bedrücker erfaßt. 40

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