Oberösterreichischer Volkskalender 1928

Jahres- Rückschau. Steyr, im August 1927. K o r r u p t i o n und R e a kt i o n waren die widerlichen Merkmale, die den Geschehnissen des vergangenen Berichtsjahres das Kainszeichen aufdrückten. In dem Wettrennen um das „goldene Kalb" und in der Angst vor dem Zusammenbruche der schon sehr wackeligen „geheiligten Ord– nung" werden von den „Trägern" der kapitalistischen Gesellschaft Mittel und Wege benutzt, die nicht nur die moralische Verkommenheit des derzeit noch bestehenden Systems, sondern auch den abgrundtiefen Haß gegen die um ihre Existenz und ihr Recht kämpfende Arbeiterschaft blitzhell beleuchten. Besonders in dem verstümmelten O e s t e r r e i c h, dem der Imperia– lismus der „Siegerstaaten" noch immer den Anschluß an das Mutterland, das Deutsche Reich, verbietet, schoß die Korruption üppig in die Halme. Man ist in Oesterreich zwar sehr fromm und schmückt sich gerne mit einem christlichen Mäntelchen, handelt aber ansonsten nach dem Grund– satze: Nimm dir was, so hast du was! Dieses „praktische" Christentum trat so recht deutlich bei dem B a n k e n s k a n d a 1 in die Erscheinung. Die glänzendsten Namen c h r i s t 1ich so z i a 1e r und g r o ß d e u t s c h e r P a r t e i f ü h r e r konnte man da erfahren, die in „brüderlicher Einigkeit" bemüht waren, da s arm e O e s t e r r e ich v o 11 e n d s a u s z u p 1ü n d e r n. Zwei Billionen, also 2000 Milliarden Kronen gingen durch die „Ehrlichkeit" christlichsozialer und großdeutscher Politiker verloren, nur um verkrachte Banken zu retten und „notleidende Bankdirektoren" zu unterstützen. In ihrer „segensreichen Tätigkeit" zapf– ten die „ehrenwerten" Herren vom Bürgersteig selbst die Po s t s p a r– k a s s e an und entnahmen ihr 1100 Milliarden. In diesem löblichen Be– mühen, das arme Oesterreich für die Lumpereien anderer bluten zu lassen, schwanden alle Gegensätze; Jud und Christ, Hakenkreuz, Weihwedel und Gebetsriemen halfen brüderlich zusammen, den Staatssäckel auszurauben. Seit dem Zusammenbruch der Gesellschaft zur Erbauung des Panama– kanales im Jahre 1888 gab es keine solch stinkende Korruptionsaffäre als <lie des österreichischen Bankenskandals, wodurch wir in der ganzen Welt unter der glorreichen Sanierung Seipels zur traurigen „Berühmtheit" geworden sind .... Dafür aber hatte man in Oesterreich für die armen Kr i e g s o p f e r, die A 1t p e n s i o n i s t e n und K 1e i n r e n t n e r keinen Groschen übrig, mußten sich die sozialdemokratischen Abgeordneten im Nationalrate alle Vierteljahre darum raufen, daß den unschuldigen Opfern der Wirt– schaftskrise, den Arbeits 1 o s e n, das Bißchen Unterstützung gesichert 31

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