Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1997

sich dieses entlang, und der Flaschengeist leuchtete ihm wie ein starkes Licht, solang er es fest in der Hand behielt. Stellte er das Fläschchen jedoch auf den Boden, erlosch der Schein sogleich. Tastend mußte er es dann in der Finsternis suchen. Ein weißes Band tauchte auf - die Straße. „Gerettet!" atmete der Bursch aus tiefster Brust auf. „Laß mich aus, laß mich aus!" rief das Geistlein wieder. Der Bursch dachte an sein Mädchen und an das Haus , das er bauen wollte. ,,Hilf mir, ein Haus bauen, und du bist frei! " So machte der Bursch eine neue Bedingung. Das Geistlein blitzte zornig in der Flasche. Aber es half ihm nichts, und darum rief es: ,,Solang du mich in deiner Tasche trägst, hebst du jede Last. Baue, baue, baue schnell, damit ich frei werde!" Wie staunte das Mädchen am nächsten Morgen, als der Bursch wieder heil vor ihm stand. ,,Ich will uns ein Haus bauen - du wirst wohl staunen, aber frag mich nicht, woher meine Kraft kommt!" bot er ihr streng auf. Sie gelobte es gern. Als das Haus aus dem Boden wuchs, blieben die Leute an der Straße stehen. ,,Was ist in ihn gefahren?" fragten sie. Er hob die schwersten Mauersteine und trug die längsten Baumstämme auf der Schulter zum Bauplatz. Er arbeitete Tag und Nacht hindurch, und niemals kam er aus den Kleidern, weil er dann auch das Fläschchen mit dem gewaltigen Geist hätte forttun müssen. Wer weiß, was dann geschehen wäre! Nur das Mädchen blieb bei ihm und nährte ihn während seiner unaufuörlichen Arbeit. ,,Bist du nicht müde?" fragte das Mädchen. „Müde bin ich nicht. Ich hab' eine Kraft bei mir, die nie geringer wird!" entgegnete der Bursch. „Woher hast du diese Kraft?" fragte das Mädchen wieder. „Frag mich nicht; das darf ich dir nicht sagen!" mußte ihr darauf der Bursch antworten . 44 Und weil sie ein fügsames Mädchen war, drang sie nicht weiter in ihn, daß er sich zuletzt verraten hätte . So geschah es , daß das Haus fertig wurde, und der Bursch und das Mädchen Hochzeit machten. Sie zogen als Mann und Frau ins neue Haus ein. Und während der Nacht lag der Bursch wach. Das Flaschengeistlein in seinem Hosensack rief: ,,Laß mich aus, laß mich aus!" - und jetzt dachte der Mann nach, was er nun weiter mit seiner großen Kraft anfangen sollte. Er könnte auch anderen Leuten Häuser bauen, könnte Brücken über die großen Flüsse ganz allein zimmern, könnte ein ganzes Kriegsheer besiegen - doch sein Wort hatte er dann nicht gehalten, das er dem Flaschengeist gegeben hatte . Und wenn ihm gar einmal das Fläschchen zu Boden fiel und zersprang, derweil er nicht darauf gefaßt war, dann würde der Geist über ihn hinaus wachsen und ihn selber vernichten. Bei diesem Gedanken spürte er zum erstenmal die Angst vor dem mächtigen Geist, den er jetzt noch bezwungen in der Flasche trug. ,,Warum schläfst du nicht?" fragte die Frau. ,,Ich denke an den Geist in der Flasche!" entfuhr es ihm - und da war nun sein Geheimnis verraten. Er erzählte alles, und die Frau drang in ihn: ,,Trag ihn zurück, wo du ihn gefunden hast!" Der Mann dachte, es wäre wohl das klügste. In der nächsten Nacht stieg er zur Burg hinauf. Der Geist leuchtete ihm durch alle Klüfte und Gänge , und in der letzten Nische legte der Mann das Fläschchen wieder hinein. Er trug eine Fackel bei sich, die ihm heimzu leuchten sollte. „Laß mich aus , laß mich aus!" rief der Geist in der Flasche hinter ihm her. Aber der Mann rannte wie auf der Flucht. Erschöpft kam er heim und fühlte, daß seine Riesenkraft vorüber und er wieder ein schwacher Mensch war. Aber der Flaschengeist wartet noch immer, daß ihn ein Mensch freiläßt. Und wehe dem, der es tut .. .!

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2