Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1997

Laß mich aus, laß mich aus! Aus: Sagenreise durch Oberösterreich Von Fran z Braumann Ein junger Bursch, der ein Mädchen lieb hatte, saß oft mit ihm zusammen. Sie beratschlagten, was sie machen sollten, damit sie bald Geld genug hätten, mitsammen einen Hausstand zu gründen. ,,Wir müssen halt arbeiten und arbeiten!" sagte das Mädchen. „Das dauert mir viel zu lang !" widersprach der Bursch. ,,Wer hell im Kopf ist und herumhört, der kommt auch ba ld zu etwas!" Sie hätten sich noch lange genug gestritten, aber da schien die Abendsonne gerade auf das Gemäuer eines verfallenen Schlosses in der Steinmühle, halbwegs zwischen Molln und Leonstein. Auf einmal blitzte es d01t in der Höhe oben funkelnd auf und verging gleich wieder. Die zwei schauten wie erstarrt eine Weile darauf hin. „Was ist das gewesen?" fragte das Mädchen erschrocken. ,,Ich meine, das muß ein Goldschatz sein!" Der Bursch sprang auf und war nimmer zu halten. ,,Die Sonne hat durchs Geklüft in einen verborgenen Gang geleuchtet, und da hat etwas wie Gold aufgefunkelt! Ich will gleich hinaufsteigen und suchen!" Das Mädchen versuchte ihn noch zurückzuhalten. ,,Du weißt nicht, wie morsch und mürbe schon die Mauem dort oben sind. Ein unrechter Tritt, und du stürzt herab!" „Lieber bin ich tot, als daß ich das nicht finde, was mich angefunkelt hat! Mach dir keine Sorgen, Mädchen, und sag keinem Menschen, wohin ich gegangen bin. Über eine Woche will ich dich wieder aufsuchen!" Nach diesen Worten verschwand der Bursch in dem Gestrüpp unterhalb der alten Ruine . Das Mädchen stand noch eine Weile da, und die Tränen schossen ihm in die Augen. Wer weiß, ob es den Burschen noch lebend wie42 dersah. Die alten Mauem auf dem schroffen· Felsen schauten drohend genug herab . Der Bursch wand sich durch Domenstauden und großen Huflattich immer höher hinauf. Kein Tritt und kein Pfad war zu sehen, nicht einmal einen sicheren Griff gab es im losen Gestein. Er hielt nur an, wenn ihm der Atem ausging. Dann schaute er hinab ins Tal und suchte mit den Augen die Straße entlang, ob er sein Mädchen noch einmal sehen könnte. Aber die Büsche und Bäume hatten sie schon längst verdeckt. Das machte auch ihm das Herz schwer, weil er nicht wußte, welchem Abenteuer er entgegenging. Endlich hatte der Bursch die erste Mauer der Ruine erreicht. Er schwang sich auf sie hinauf und schaute sich um. Ringsum sah er nichts als die Trümmer von eingestürzten Hallen. Wilde Waldreben und andere Zweigranken wuchsen darüber und deckten die Steinwirrnis wie mit einem grünen Schleier zu. Sobald der Bursch aber versuchte, darauf zu stehen, sank er überall zwischen den zackigen Mauerbrocken hinein . Einmal fanden seine Beine unter der wuchernden Pflanzendecke keinen Boden mehr. Der Bursch griff hastig um sich und rief: ,,Hilf mir!" Doch die er meinte, die war jetzt so fern von ihm, daß sie seinen schwachen Ruf nicht hören konnte. Die letzten Zweige, an die er sich geklammert hatte, rissen ab, und er stürzte in eine schwarze Finsternis hinab. Als der Bursch wieder zu sich kam, spürte er an seinem Kopf eine tiefe, blutende Schramme. Er schnitt einen Hemdärmel in Streifen und umwickelte seinen Kopf, daß er zuletzt aussah wie ein Türke, der einen Tuban um seine Stirn geschlungen hat. Der Bursch wollte laut auflachen, als er an dies dachte. Es blieb ihm jedoch sein Gelächter

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