Zuerst fand er sich unten in der Finsternis nicht zurecht; aber je weiter er in den Berg hineinschritt, um so besser sahen seine Augen . Es war so, als leuchteten die Wände von innen her. Eine kühle Luft strich ihm entgegen, und diese trug einen seltsam einladenden säuerlich herben Duft mit sich. Der Bürger von Ottensheim folgte dem Geruch, bis er auf einmal vor großen, altertümlich verzierten Weinfässern stand. Ein vergessener Weinkeller, dachte er, aus der Zeit, als auf der Kürnberger Burg noch die Ritter hausten! Der Bürger besah die Weinfässer genauer, und da sah er an einem Faß sogar noch eine Pipe (hölzerner Faßhahn) stecken. Er schaute ringsum, weil ihn das Gelüst ankam, von dem alten Wein zu kosten. Und wer sucht, der findet auch! Denn in der Ecke des Weinkellers stand ein alter Steinkrug, umgestürzt und spinnwebverdeckt. Der Grünkranz machte ihn sauber, hielt den Krug unters Faß und drehte den Hahn an der Pipe. Ein Wein, dunke lrot wie Ochsenblut, rann heraus; er konnte nicht anders als ihn kos ten. Nach dem ersten Schluck wußte er schon, daß er noch nie einen so prächtigen Wein getrunken hatte. Als der Bürger die Fässer zählte, sagte er zu sich: ,,Den Wein, der in dem Keller lagert, kann ich mein Lebtag nicht allein austrinken . Schade, wenn er dann verderben muß!" Denn er hatte sich sogleich vorgenommen, niemandem von seiner Entdeckung etwas zu sagen. „Aber mein Weib soll von dem Wein kosten! " sagte er froh. ,,Sie hat genug ausgestanden, seit ich angefangen habe, in der Ruine herumzuk.lettern! " Er trank noch so viel, bis er meinte, nun hätte er für einige Zeit genug. Dann aber füllte er den Weinkrug noch einmal bis oben an, drehte mit einem heimlichen Bedauern die Pipe zu. Denn am liebsten wäre er überhaupt von dem köstlichen Wein nicht weggegangen . Wie er aber den Krug nahm und aus dem unterirdischen Keller wieder hinausgehen 36 wollte , da standen auf einmal drei alte Männer vor ihm. Ihre Bärte hingen tief über die Brust hinab, und wenn er ihre Gesichter näher besah, mußte er meinen, sie wären gewiß so alt wie die Burg selber. Die Gewänder, die sie anhatten , schwarz und seltsam verziert, trugen einen Schnitt wie vor vielen hundert Jahren. Jetzt vertraten sie ihm den Weg und hoben die Hände, als wollten sie ihn nicht mehr hinauslassen. Sie sagten nichts; so mußte der Grünkranz zu reden anfangen: ,,Laßt mich doch wieder fort; ich will gewiß keinem Menschen etwas sagen!" Aber sie wollten auf sein Wort nicht hören. Sie schauten böse auf den Krug - es war ihnen wohl leid um den Wein, den er forttragen wollte. Der Grünkranz aber meinte, er könne ohne den süßen Wein nicht mehr leben. Er faßte den Krug fester und fing noch einmal zu bitten an: ,,Hättet ihr den Eingang besser versteckt, dann wäre ich nie in den Keller herabgekommen. Ihr habt mich hineingelassen, jetzt müßt ihr mich auch wieder hinauslassen! Meine Leute daheim müßten zugrunde gehen ohne mich!" Vielleicht gefiel es den drei alten Männern, daß er sich so sehr um sein Weib und die Kinder sorgte. Einer sagte: ,,Solang du niemand andern von dem Fund erzählst, daifst du Wein holen, soviel du für deine Leute brauchst." Sie wichen auf die Seite, und der Grünkranz durfte mit dem Weinkrug fortgehen. Er fand auch im Finstern den Ausgang zwischen dem Geröll und den wuchernden Büschen wieder. Dabei hatte er acht, daß er keinen Tropfen von dem wunderbaren Wein verschüttete, den er gefunden hatte. Mitternacht war schon lang vorbei , als er unten in Ottensheim wieder in sein Haus trat. Sein Weib hatte ihn schon mit großer Sorge erwartet. Jetzt fragte sie erschrocken: ,,Wo hast du den alten Krug her, Mann?" Der Ottensheirner wußte gut, daß er nicht reden durfte . Er hielt ihr den Krug entgegen und sagte nur: ,,Trink und frag nicht lang! Ich kann dir 's doch nicht sagen."
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