König Laurin in Steyr Aus: Volksmärchen aus dem alten Österreich Von Helmut Wittmann War's a so, oder war's net a so, und wad's net a so g'wen, dann k:unnt' i 's net a so vazöl'n, das hat auf der schönen Burg zu Steyr der spanische Fürst Biterolf mit seiner Frau Sieglinde und ihren Kindern, dem Dietleib und der Kühnhilde, gehaust. So stolz und so kühn der junge Dietleib war, so anmutig und so schön war die Kühnhilde. Einmal ist sie an einem lauen Morgen mit ihren Gespielinnen hinausgegangen vor die Burg, um unter den blühenden Linden zu tanzen . Die Spielleute haben aufgespielt, die Jungfrauen haben gesungen und getanzt. Bald ist es im Reigen rundgegangen. Da hat sich allerhand lustiges Volk angesammelt. Alle haben miteinander gesungen und getanzt. Sogar der edle Fürst Biterolf ist zusammen mit seiner Frau und etlichen Grafen von der Burg heruntergekommen, weil ihm das muntere Treiben gefallen hat. Gerade zu dieser Zeit ist auch der Zwergenkönig Laurin hoch zu Roß durch den dichten Wald im Land ob der Enns gestreift. So ist er just zu dem fröhlichen Fest bei der Steyrerburg gekommen. Das hat auch ihm gefallen. Und wie er sich so umschaut, da sieht er mitten im fröhlichen Reigen die schöne Kühnhilde. Aus war's mit dem Zwergenkönig. Sein Herz ist in Liebe zu ihr entbrannt. So ein anmutiges Dirndl hat er sein ganzes Leben noch nie gesehen gehabt. Geschwind hat er sich seine Nebelkappe aufgesetzt, er hat sich unbemerkt in den Reigen hineingeschlichen und ist mit ihr auf und davon geritten. Bis in sein sagenhaftes unterirdisches Reich im Tirolerland hat er sie entführt. Dort hat sie jetzt tief drinnen im Berg mit ihm leben müssen. Daheim auf der Steyrerburg waren alle schier verzweifelt: ,,Wohin ist die Kühnhilde verschwunden? Ist ihr ein Unglück geschehen? Oder ist sie gar entführt worden?" Ihrem Bruder, dem Dietleib, hat das keine Ruhe gelassen. Mit einem Haufen von den tapfersten Männern hat er sich auf die Suche gemacht. Dabei hat er sich geschworen, daß er nicht früher zurückkehrt, bevor er nicht seine Schwester gefunden hat. Kreuz und quer sind sie durchs Land geirrt. Nirgends haben sie auch nur eine Spur der schönen Kühnhilde gefunden. So sind sie nach Holmgard geritten. Dort hat die berühmte Seherin Oder im heiligen Götterhain gewohnt. Der hat der wackere junge Bursch aus dem Steyrland recht gut gefallen. ,,Ach", hat er geklagt, ,,wenn ich doch nur wüßte, was mit meiner Schwester geschehen ist! Könnt Ihr mir nicht helfen?" Wie er ihr so seine Not geklagt hat, da hat die Seherin mit ihm Mitleid bekommen. Sie hat die Asen um Beistand angefleht, hat sich priesterlich geschmückt, ist auf die Leiter gestiegen und hat mit einem goldenen Messer einen kleinen, grünen Zweig aus der heiligen Krone der Runenbuche geschnitten. Dann hat sie Runen in die junge Rinde geritzt, hat den Zweig in kleine Würfel zerschnitten und hat die, rückwärts gewendet, auf einen weißen Teppich geschmissen . Mit verbundenen Augen hat sie zugegriffen und hat ein paar von den Würfeln aufgehoben. Dann ist sie die Stufen zur heiligen Grotte hinaufgestiegen, hat sich auf den goldenen Stuhl gesetzt und hat die Runen vor sich hin auf den Tisch gelegt. Sie hat sie sinngemäß aneinandergereiht und eine Weile betrachtet. Der Dietleib hat es schon gar nicht mehr erwarten können. Aber schließlich hat die Seherin den Kopf gehoben und gesagt: ,,Der Zwergenkönig Laurin, der Herr vom Rosengarten, hat deine Schwester entführt. Es wird dir wohl schwerfallen, daß du sie aus seiner Gewalt befreist. Am besten ist, wenn du nach Garden zum alten Hildebrand reitest. Der weiß die Wege und kann dir einen guten Rat geben." 35
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