Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1994

,,Nein!" unterbrach sie Jolly abermals. Diesmal leicht verärgert. ,,Ich meine natürlich meinen Papagei Charly, der mir vor längerer Zeit zugeflogen ist und den ich hoffe behalten zu können, weil es so ein liebes Tier ist und sich bis jetzt noch kein Eigentümer gemeldet hat." ,,Ach so!" nickte Gitte und überlegt: Acht Tage ging es, aber auf keinen Fall länger, denn dann kam John, ihr Verlobter, zurück, und dem waren Tiere in der Wohnung ein Greuel. ,,Unter dem Vorbehalt für nur acht Tage stimme ich zu!" nickte sie. „Wunderbar, Gitte ! Du brauchst den Vogel nur einmal täglich Wasser und Futterkörner zu geben. Das ist alles, und ich denke, daß wird keine allzugroße Arbeit für dich sein. Du wirst eine Menge Spaß mit ihm haben", fügte sie hinzu. ,,Bestimmt wird er mir sehr abgehen; aber leider muß ich Gustav, meinem neuen Freund, ein paar Tage Gesellschaft leisten." Spätabends am nächsten Tag kam Jolly mit einem großen verhangenen Käfig und einem Packen voll Futter. „Laß das Tuch über dem Käfig!" bat sie. ,,Charly schläft schon und wird immer sehr ungebärdig, wenn man ihn weckt." Gitte bewunderte am nächsten Morgen den schönen bunten Papagei, der auf einer Sprosse stand und neugierig seine Umgebung musterte. Argwöhnisch schielte er ab und zu zu ihr herüber, und Gitte konnte nicht erkennen, ob es dem Vogel bei ihr gefiel oder nicht. Charly ignorierte eisern ihre Lockrufe, zeigte ihr den Rücken und stürzte sich jählings auf ihre Hand, als sie ihm Körner in die Futterschüssel geben wollte. Erschrocken fuhr Gitte zurück und zog es dann vor, Futter undWasser mittels eines größeren Schlauches in den Käfig zu schleusen. Charly beantwortete auch das mit einem ohrenbetäubenden Gekreische, und würdigte sie keines Blickes. Ich glaub', ich bin ihm unsympathisch, stellte sie für sich enttäuscht fest, als es auch am 4. Tag keine Ände - rung in Charlys Verhalten gab. Doch dannkamder5. Tag, derihraberinkeiner Weise etwas von dem angekündigten „Spaß haben mit Charly" vermitteln sollte. Gitte hatte Halsschmerzen und etwas Fieber. Daher meldete sie sichtelefonisch im Büro krank. Gegen 10 Uhr läutete es an der Tür. Es war der Postbote, der sie auchbat , für ihre abwesende Nachbarin ein Nachnahmepäckchen zu übernehmen . Gitte nickte und legte das Geld vor. ,, . . . zweiundzwanzig, dreiundzwanig, fünf ...", zählte der Bote gerade noch, als er urplötzlich zusammenfuhr. Aus dem Nebenzimmer schrie eine heisere Stimme: ,,Du Verbrecher! Du Mörder! Verschwinde!" Entgeistert schaute der Briefträger die jungeFrau an, die nicht minder verblüfft war und verstört in Richtung des Zimmers schaute. Kopfschüttelnd und sichtlich irritiert begann der Bote nocheinmal zu zählen, drückte ihr dann das Päckchen in die Hand und bat sie zu quittieren. ,,Lump .. . Strolch . . . Kindesentführer!" Da war wieder die heisere Stimme. Fluchtartig wandte sich der Bote um und schlug die Tür hinter sich zu . Wütend lief Gitte in das Zimmer und schrie dem Vogel ein „Mistvieh" und andere Schimpfnamen zu. Aber Charly schien dieses Schimpfen Spaß zu machen, laut krächzend schimpfte er zurück . Gitte staunte nicht schlecht über das Repertoire das der Vogel hatte. Es fielen Wörter die sie errQten und schleunigst das Zimmer verlassen ließ. Neidlos mußte sie anerkennen, daß ihr Charly in seinem Schimpfwörterrepertoire weit überlegen war. Genervt ließ sie sich in der Wohnküche auf einen Sessel fallen und sprang schon im nächsten Moment wieder hoch .UmGottes Willen, wenn John das hört, durchzuckte es sie und schleunigst wählte sie Jollys Nummer. Aber niemand hob ab. Schon am nächsten Tagwar John da. Als er Charly sah, der ihn schadenfroh anzuglotzen schien, gab es ihm sichtlich einen Ruck . ,,Was soll dieser Vogel hier?" fragte er stirnrunzelnd. ,,Er bleibt nur mehr einen Tag, John!" versicherte sie und berichtete von ihrer Freundin Jolly. 37

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