Grande führte den Antiquitätenhändler zum Prosekturwagen, in dem die Tote lag. ,,Kennen Sie diese Frau?" wollte er wissen . „Natürlich, sie ist ... sie war eine Kundin von mir", würgte Lognier hervor. Später, in seinem Büro, gab er zu Protokoll: ,,Das Mädchen hat an mich ein Gemälde verkauft, und zwar ..." er schlug eines der Geschäftsbücher auf und fuhr mit dem Zeigefinger über die Eintragung, ,,ah, da ist es schon, am 6. Juli, Susette Solier, 17 Rue Trinal. Sie gab an, das Bild aus demNachlaß ihres verstorbenen Vaters verkaufen zu müssen, da sie dringend Geld benötigte." ,,Versuchen Sie etwas über die Tote zu erfahren", raunte Grande leise Daumac zu und wandte sich wieder an den Antiquitätenhändler. ,,Und was war weiter?" ,,Etwa zwei Tage später war Mademoiselle Solier wieder hier und bat mich, das Bild - es stellte eine Fregatte auf stürmischer See dar - für sie für einenRückkauf zu reservieren, was ich auch zusagte. In der Folge tauchten noch zwei Herren auf, die großes Interesse an dem Bild zu haben schienen." ,,Ist denn das Gemälde so wertvoll?" „Eben nicht! Zumindest nicht, wie ich es einschätzte. Ich wurde aber stutzig und ließ es von Prof. Voleux prüfen . Doch auch dieser Experte bezeichnete es als wertlosen Kitsch; es ist nicht einmal signiert . Das Beste daran ist noch der schöne massive Barockrahmen." ,,Kann ich das Bild sehen?" „Natürlich!" Aber da stellte sich heraus, daß das Bild nicht mehr hier war. Die Fregatte war das einzige, das in dieser Nacht abhanden gekommen war. ,,Können Sie mir die beiden Männer, die sich für das Bild interessierten, beschreiben?" ,,Einen Mann kenne ich persönlich, es ist GastonMilcon, einmir bekannter Kunstmaler, der gelegentlich Rahmen für seine Bilder kauft. Der andere .. . ja, das war ein dunkler Typ, etwa 30 Jahre alt, mit langen Haaren und einem auffallend bleichen Gesicht , in dem die Augen seltsam funkelten." 42 Insp. Daumac kam zurück . ,,Susette Solier, wohnhaft in 17 Rue Trinal ..." ,,In der auch Gaston Milcon wohnt", unterbrach der danebenstehende Lognier. Überrascht sah Grande auf . ,,Bis jetzt ist nichts Nachteiliges be - kannt", fuhr Daumac fort. ,,Sie lebte mit ihrem Vater, Jacques Solier, im gemeinsamen Haushalt. Dieser war wegen eines Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden . Wurde kurz darauf in eine Lungenheilstätte überwiesen, in der er bald starb. Solier war Witwer und arbeitete früher in einer Diamantschleiferei in Amsterdam. Wegen einiger Unklarheiten - es sollen eine Anzahl Rohdiamanten verschwunden sein - wurde er entlassen und übersiedelte nach Paris. „Kommen Sie, Daumac !" forderte der Kommissar den kleinen Inspektor auf. ,,Wir werden uns in dieser Rue Trinal umsehen." , Gaston Milcon öffnete erst auf mehrfaches starkes Klopfen. ,,Was wollen Sie von mir?" lallte er. Das Atelier bot das Bild einer zu Ende gegangenen, ausgelassenen Party. Auf einem Sofa lag ein spärlich bekleidetes Mädchen, während unter einer Staffelei der zottige Kopf eines schnarchenden Kunstjüngers hervorsah. „Polizei! Kommissar Grande! Wann haben Sie Fräulein Solier das letzte Mal gesehen?" Milcon bemühte sich krampfhaft, die Augen offenzuhalten, und wankte zu dem verglasten Schrägdach. ,,Gestern", sagte er leise, ,,sie ist mit diesem Fremden dort unten gestanden ." Dabei deutete er auf ein geöffnetes Fenster gegenüber. ,,Wohnte sie da drüben?" erkundigte sich Daumac. Milcon nickte. ,,Wie sah der Fremde aus?" Mit geschlossenen Augen begann Milcon imaginäre Bilder in die Luft zu zeichnen . ,,Ein bleiches, wächsernes Gesicht, unheimlich glitzernde Augen ... und eine feuerrote Narbe über der rechten Augenbraue." ,,Haben Sie noch etwas bemerkt?" Aber Milcon schüttelte nur den Kopf. Grande faßte ihn am Arm. ,,Mademoiselle Solier wurde in der vergangenen Nacht ermordet !"
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