Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1993

Das Geheimnis der Fregatte Kriminalerzählung von Richard Hofbauer Schwere dunstige Wolken lagen über dem nächtlichen Paris. Unruhig wälzte sichMadame Corbilier, Concierge in einem Vorstadthaus, in ihrem Bett hin und her. Da, was war das? Erschrecktfuhrsie auf. Ein Poltern, das aus dem Antiquitätenladen nebenan zu kommen schien, hatte sie aus ihrem unruhigen Schlummer gerissen. Angestrengt lauschte sie eine Weile, aber nur das eintönige Ticken eines Weckers war zu hören. Sie sah auf die Uhr. Es war genau ein Uhr. Wahrscheinlich habe ich mich getäuscht, dachte sie und legte sich wieder in die Kissen zurück. Im nächsten Augenblick aber ließ sie ein Schrei, schrill und wie in Todesnot ausgestoßen, erneut emporfahren. Jetzt war auch Pierre, ihr Mann, wach geworden. ,,Oh, mon dieu ! Das kann nur von nebenan gekommen sein!" rief Madame Corbilier. Mit einem Satz war Pierre Corbilier aus dem Bett und eilte mit seiner Frau durch den Hausflur auf die Straße. Zusammen standen die beiden jetzt vor den versperrten Rolläden des Antiquitätengeschäftes. Nichts Auffälliges war zu sehen. ,,Kam der Schrei wirklich aus Logniers Laden?" meinte Pierre Corbilier unsicher. ,,Vielleicht haben wir uns getäuscht oder böse geträumt." ,,Bestimmt nicht!" erklärte Madame Corbilier. ,,Schon Minuten vorher hörte ich ein Poltern von da drinnen. Glaube mir, da stimmt etwas nicht!" „Aber du siehst doch, daß hier alles ordentlich abgeschlossen ist und ..." Er unterbrach sich. ,,Der Eingang vom Hof . . ." Rasch eilten sie zurück, waren kurz darauf im Hof, und da blieb der Mann p lötzlich stehen, daß seine Frau auf ihn aufprallte. ,,Die Tür ... sie ist offen!" Langsam ging er näher und starrte in das ihmdunkel entgegengähnende Viereck. Er schaltete seine Taschenlampe ein und ließ den Licht4 kegel auf das Durcheinander von antiken Möbelstücken, Bildern, Stehuhren und Ritterrüstungen fallen. Ein gespenstischer Anblick bei Nacht . „Hallo! Ist dort jemand?" rief er mit nicht ganz fester Stimme. Aber imgleichenMoment schrak er zusammen, als er einen furchtbaren Schrei hinter sich hörte. Er fuhr herum. Nanette, seine Frau, starrte mit schreckgeweiteten Augen an ihm vorbei, und jetzt sah auch er den Grund ihres Entsetzens: Zwischen einer alten Standuhr und einem Biedermeierkästchen lag ein weibliches Wesen in seltsam verkrümmter Haltung. „Mon dieu !" rief er erschüttert. ,,Die Polizei muß kommen! Rasch, Nanette!" UnterLeitungvonKommissarGrande war die Mordkommission eingetroffen . Dr. Vilier beugte sich über die auf dem Boden Liegende. ,,Soweit ich im Augenblick feststellen kann, wurde dieses junge Mädchen vor etwa einer Stunde erwürgt. Eindeutig Mord . Näheres kann ich erst nach der Obduktion sagen." Während der Fotograf und die Spurenleute ihre Arbeit verrichteten, ließ sich Kommissar Grande von Corbilier und seiner Frau berichten. ,,Können Sie mir sagen, wer die Tote ist?" Corbilier schüttelte den Kopf, aber seine Frau sagte : ,,Natürlich kenne ich das Mädchen. Vor einigen Wochen war es hier und hat auf den Besitzer des Geschäftes, Monsieur Lognier, gewartet. Wenn ich mich recht erinnere, wollte es ein Bild verkaufen . Und noch etwas fällt mir jetzt ein: Dieses Mädchen trug damals Trauer." „Hm, da wird uns Monsieur Lognier bestimmt eine Menge erzählen können. „Gestatten, Lognier", stellte sich in diesem Moment ein älterer Herr vor, dervoninspektorDaumac, Grands Assistenten, geholt worden war. 41

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