Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1993

UNTERHALTUNG Kathedralen • llll Urwald Auf den Spuren eines Indianerstaates vor 350 Jahren Von Franz Braumann 1000 km westlich von Sao Paulo, an der Grenze zu Argentinien, stürzt der Urwaldstrom Iguassu in einem Halbkreis von 8 km 80 m tief in einen tektonischenEinbruchkessel der Erde. Er bildet mit seinen ungeheuren Wassermassen den schönsten und grandiosesten Wasserfall der Welt. Wer, in der Tiefe des Kessels stehend, dem weißbraunen, ungeheurenWassersturz entgegenblickt, der ständig von leuchtenden Regenbogen überbrückt wird, vergißt dieses Naturschauspiel sein Leben lang nicht. Frühe Entwicklungshelfer. Das Ziel meiner Reise aber lag jenseits der Fälle des Iguassu. Ich wollte die Ruinen jener „Kathedralen im Urwald" besuchen, die heute noch die mächtigsten Zeugen einer vor 350 Jahren glückhaft entwickelten Indianerkultur im Herzen Südamerikas sind! Zwischen den Strömen Rio Paraguay, Parana und Rio Uruguay, die parallel nach Süden fließend den mächtigen La Plata bilden, an dessen 80 km breiten Mündungstrichter Buenos Aires und Montevideo liegen, hatten um 1600 jesuitische Missionare begonnen, die nomadisch streifenden, auf der Stufe der Sammlerkultur stehenden Guarani-Indianer den geregelten Landbau zu lehren und sie in großen Dörfern anzusiedeln. Überraschend schnell folgten die freien, aber völlig schutzlos den Sklavenjagden der Landsknechte im Dienste der mächtigen Kaffee-Hazienderos von Sao Paulo preisgegebenen Indianer der Einladung dieser frühesten Entwicklungshelfer. Ein Kulturaufstiegwarnur möglich, wenn die Guaranis zugleich mit der Bekehrung auch seßhaft gemacht wurden und man durch geordneten Landbau die ständige Hungerdrohung überwand. 3 Während die Unterwerfung unter die spanischen und portugiesischen Kolonialherren zugleich Sklaverei bedeutete, bildeten die neuen Indianergemeinschaften unter der Führung eines weißen ,,Vaters" die Reduktionen, freie Zusammenschlüsse, deren Erträgnisse wieder den Indianern zuflossen. Diese christliche Indianerkulturentwickelte sich über hundert Jahre lang fast ungestört . Zu der wirtschaftlichen Blüte kam bald ein steiler Kulturanstieg. Die Guaranis erlernten unter der Anleitung der weißen Väter nicht nur die geregelte Landwirtschaft und alle Handwerke der europäischen Kultur um 1650, sondern wurden auch Orgelbauer, Steinmetze und Künstler des Pinsels und des Meißels. Primitive Eisengießereien und Ziegelwerke schufen die Voraussetzung zu mächtigen Stein- und Mauerbauten. Ihre grandioseste Ausformung fand diese aufblühende Indianerkultur an den riesigen Kirchenbauten in den Urwäldern zwischen den großen Strömen. Aufgelöst und vernichtet- Heute bin ichaufderFahrtzuihrenRuinen.Denn im Jahre 1767 wurde der blühende Indianerstaat durch königlich spanisches Dekret zugleich mit der Vertreibung aller Missionare aufgelöst und vernichtet - aufBetreiben der mächtigen Grundherren und Kaufleute des kolonialen Südamerika. Auf einer Fähre überquert unser Auto den Grenzfluß Iguassu knapp vor seiner Einmündung in den mächtigen Rio Parana. Während auf der brasilianischen Seite die Paßkontrolle kaum zehn Minuten dauerrt, sitzen wir beim argentinischen Zollamt eine volle Stunde. Die freundlichen Beamten schwitzen über Formblättern zur Autoeinfuhr, die sie kaum lesen können und die wir schließlich selber ausfül33

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