ein Leben lang nicht abtragen. Dabei war alles so GUT gegangen", fügte An– dreas hinzu, ,,viel besser als wir zu hof– fen gewagt hätten." Inder kleinenKreisstadt F., in der sie kurze Zeit später das Auto abstellten, läuteten die Glocken zur Abendan– dacht. Im Vorübergehen fing Michael hinter weißen Scheibenvorhängen das Bild einer jungen Familie auf, die um einen Adventkranz saß, auf dem drei Kerzen brannten. Zeit der Hoffnung, habe er wieder denken müssen, Zeit der Hoffnung auf Ankunft. Passanten wiesen ihnen den Weg zur Wachstube, in der sie vor den zwei diensthabenden Polizeibeamten um Asyl für Inge an– suchten. Tauender Schnee hatte unter einemderDienstmäntel eine Lache ge– bildet,·deren Wasser sich in den Ritzen des Bretterbodens verlor. Während die Beamten fragten, schauten, schrie– ben, war es Michael, als ob ein Seil, an dem er gezogen hatte, gerissen wäre und er rücklings in weichen Sand fiele. Reisegefährten Von Veronika Handlgruber-R,othmayer Weil ich das Reisen so hasse, muß ich oft mit der Bahn fahren. Oder hasse ich es vielleicht ebendarum so sehr? Ursa– che undWirkungsind nichtimmer aus– einanderzuhalten; eine Erkenntnis, die in diesem Falle nicht tröstlich ist. Da saß ich also wieder einmal im Schnellzug, hatte bereits sämtliche Zeitungen durchgelesen, hatte ein län– geres Nickerchen gemacht und lang– weilte mich nun, weil mir die reizlose Landschaft vor dem Fenster zur Genü– ge bekannt war. , Neu auf jeder Fahrt sind nur die Mit– reisenden, und darum musterte ich sie neugierig. Mir gegenüber saß ein dicker Herr mit Glatze und Zwicker, der ihm jedesmal, wenn er sich schneuzte, herunterfiel. Neben ihm, in der Fensterecke, kauerte ein junger Mann, der den Kopf hinter seinem Mantel verborgen hatte und schlief. In der Ecke neben der Tür saß eine Dame mittleren Alters, die strickte und mir manchmal freundlich zunickte. Auf meiner Seite hat ein ältlicher Herr mit weißem Schnurrbart und einer Pfeife im Mundwinkel Platz genommen. Er wechselte soeben ein paar freundliche Worte mit einemKnaben, der zwischen ihm und seiner Mutter, einer vollblüti– gen, rotbackigen Frau saß, die ihrem SprößlingununterbrochenSchokolade in den Mund schob. Eine ziemlich langweilige und farb– lose Gesellschaft, stellte ich ent– täuscht fest und überlegte, ob ich wie– der lesen, schlafen oder mit meinen Fahrtgenossen ein Gespräch beginnen sollte. Der Schaffner kam, und die Fra– ge der strickenden Dame nach einer Station gab Anlaß zu einer kleinen Plauderei. Der Dicke beklagte sich, wie beschwerlich das Reisen sei, eine Feststellung, in die fast alle anderen lebhaft einstimmten, obwohl sie offen– sichtlich keinen Grund dazu hatten. „Ja, manhat'snichtleicht", stöhnte der Beleibte, nach Luft schnappend, und der Herr mit der Pfeife meinte wohl– wollend spöttisch: ,,Sie haben ja auch gut ihre eineinhalb Zentner herumzu– tragen." - ,,Sogar noch etwas mehr!" erwiderte der Dicke stolz. ,,Man braucht wenigstens nicht als Gerippe herumzulaufen", stellte er mit einem Seitenblick auf den schlafenden jun– gen Mann fest. Dann wurde es still im Abteil. Der mit der Pfeife sah aus, als gingen ver– nünftige Gedanken durch seinen klu– gen Männerkopf, der Beleibte rüstete umständlichundächzend zumAusstei– gen, die junge Mutter fuhr fort, ihrem Buben Süßigkeiten in den verschmier– ten Mund zu stopfen, die strickende Dame lächelte still vergnügt vor sich hin, und der junge Mann, der mittler– weile erwacht war, gähnte ohne Un– terlaß. In der nächsten Staton verließ der Dicke den Zug, und da sein Platz leer blieb, streckte sich der junge Mann der Länge nach aus, um weiterzuschlafen. Zuvor aber zog er mit gewichtigerMie– ne seine Brieftasche hervor, zählte 45
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