langt. Er begann zu laufen, stürzte das kurze Stück nach links über das Geröll hinauf, öffnete die schwere Holztür der Kapelle und kauerte sich in eine Ecke. Seine Kleider trieften vor Nässe. Wenn er seine Fußsohlen hob und senkte, spürte er das Wasser in seinen Schuhen und hörte das glucksende Geräusch. Er nahm ein Taschentuch und wischte damit über sein Gesicht, aber es tropf– te immer wieder von den Haaren in die Stirn. Hier im Inneren der Kapelle war es nicht wärmer, nein, saukalt war es, aber wenigstens trocken. Er sah sich um und entdeckte die vielen Bilder an denWänden, Bilder von bekannten und unbekannten Bergsteigern. Unter je– dem Foto stand ein Sprüchlein, und er las sie alle. Viele von den besten Klette– rern waren im leichten Gelände umge– kommen. Er sah noch einmal auf das Bild des großen Emilio Comici. 'Erst– durchsteiger der Großen-Zinne-Nord– wand' stand darunter. Und wo ist er umgekommen? Beim Training im Klettergarten. Das ist Ironie, dachte er. Die Blitze mußten jetzt ganz nahe sein. Ein kurzes grelles Aufzucken, für einen Augenblick war es taghell. Auf einmal sausten drei Blitze in kurzen Abständen nieder, genau in die Süd– wand der Kleinen Zinne, es war ganz nahe. Cesare sprang auf und starrte hinaus durch das kleine Fenster, sah gerade noch ein kurzes Aufleuchten und sah die Zinne, die einer gewaltigen brennenden Fackel glich. Ein langsam ansetzendes Grollen folgte, wurde im– mer stärker und erschütterte dann den Raum der Kapelle. Ein aufbrausendes Poltern und Krachen. Das war kein Donner - irgendwo dahintenmußte es eingeschlagen haben, irgendwo in einer Schlucht oder Wand, irgendwo mußte der Blitz ein Stück Fels heraus– gerissenhaben. Langsamverebbte das grauenhafte Dröhnen. Dann war es ruhig. Cesare standauf, öffnete die schwere Holztür und trat ins Freie. Der Schwe– felgestankwar noch stärker geworden. Aber es war ruhig, und es nieselte nur mehr. Er rannte los, den Weg hinauf. Keu– chend stolperte er durch die Dunkel– heit, dann stand er vor der Hütte. Nur ein kleiner Lichtschimmer drang :\USeinemFenster. Er sah in großen Umrissen die Autos, die vor der Tür standen, und er sah, daß das Was– ser bis über die Räder reichte. Weiter hinten waren ein paar Gestalten, und er hörte aufgeregte Stimmen. Er rann– te weiter durch die Wiese und versank bis zu den Knöcheln im Wasser. Müh– sam suchte er sich den Weg zum Zelt. „Paolo, Paolo", rief er, ,,mach auf, ich bins - Cesare". Und er trommelte ge– gen das wasserdurchtränkte Zeltdach, und das Wasser rann herunter und tropfte in seinen Nacken. Die Stoff. klappe wurde geöffnet und Paolo kam zögernd zum Vorschein, sein Gesicht war bleich, seine Augen glänzten. „Cesare - endlich. Gut daß du da bist. Ich hab schon geglaubt, dir ist et– was passiert." Er reichte ihm eine Tas– se mit dampfendem Tee und sagte : „Hier trink erst, und dann schau mal hinaus, - da drüben, beim Geröllfeld." Cesare trank einen Schluck und öff– nete das kleine Guckloch. Er sah nichts. Als sich seine Augen aber an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er die Umrisse eines riesigen Felsklot– zes, der inmitten von drei Zelten lag. Und dann sah er den Wagen, der unter dem Felsklotz lag, und jetzt erst fiel ihm auf, daß nur mehr drei Zelte da– standen. Am Nachmittaghatte er noch vier gesehen. „Das ist doch .. ·.", stammelte er, ,.das ist doch der Wagen von den Franzosen, die sich mit uns abgeseilt haben." Paolo nickte. ,;verdammt, die haben Pech", flüster– te Cesare. ,,Ja", sagte Paolo, ,,die haben Pech. Hätte auch unser Wagen sein können, er steht gleich daneben." Cesare schüttelte denKopf. Erwollte etwas sagen, brachte jedoch kein Wort heraus. „Wenn es nur der Wagen wäre", sagte Paolo, ,.aber die beiden hats auch er– wischt - im Zelt. Sie haben schon ge– schlafen." ,.Was", Cesare fuhr hoch, ,.ist der Fel– sen vorher auf ihr Zelt gefallen? - Da müssen sie ja .. ." Paolo schüttelte den Kopf. ,,Nein - nur verletzt. Aber die hats ganz schön erwischt. Ich war vorhin draußen und hab geholfen, sie in einen Wagen zu le35
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