Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1991

Cesare schaute hinauf zum Himmel. Langsam zogen ein paar kleine Wolken näher. Das letzte Stück rannten sie hinun– ter. Vor demZeltließen sie sich einfach fallen und warfen die Rucksäcke ins Gras, dann zogen sie ihre Hemden aus undbliebenliegen, ließen die Sonne auf ihre nackten Oberkörper brennen. Sie starrtenhinüberzur Südwand derKlei– nen Zinne und betrachteten lange die Gelbe Kante, die Spigolo Giallo, eine der schönsten Kletterführen der Do– lomiten. Das Zelt stand nur wenige Meter ent– fernt von der Lavaredohütte. Cesare stand auf, holte einen alten Eimer aus dem Zelt und ging hinüber zur Hütte. Dann kam er mit einem vollen Eimer zurück, das Wasser schwappte über den Rand. Er packte den Eimer mit beiden Händen und schüttete den hal– ben Inhalt über Paolos Gesicht und Oberkörper. Paolo sprang auf. .,Bist du ver– rückt"? Das Wasser rann ihm vom Kopf herunter, triefte auf die schmutzi– ge Kletterhose. „Das war genau deine Hälfte. Jetzt brauchst du dich nicht mehr zu wa– schen, Paolo", sagte Cesare, dabei lag in seinem Gesicht der Ausdruck rein– ster Unschuld. Dann lachten beide aus vollem Hals. „Wenn ich mich gewaschen habe, geh ich runter zur Auronzohütte. Muß se– hen, ob Post für mich gekommen ist." „Gut", sagte Paolo, .,bis du zurück bist, ist das Essen fertig. Ich werde eine Büchse Speckbohnen auf– machen." Als sich Cesare abtrocknete und danneinfrischesHemdanzog, schaute er wieder zum Himmel. Das frische Blauwar jetztvon großen dunklenWol– kenbänken verdeckt undCesare fühlte, daß es in dieser Nacht noch Ärger ge– ben würde. Er schlenderte den schmalen Weg entlang, der hinunter zurAuronzohütte führte. Nach zehn Minuten kam er an der kleinen Kapelle vorbei, in der die Wände voll waren von Bildern verun– glückter Bergsteiger. Er betrachtete die Kapelle kurz von außen und ging weiter. Nach weiteren fünf Minuten stand er vor der Auronzohütte. Er ging hin~in. erkundigte sich, ob Post für ihn 34 gekommen sei und bestellte ein Viertel Wein. Sein Durst war inzwischen noch größer geworden, und er trank denRo– ten in einem Zug. Es war wieder keine Post da und er ging hinaus. Es hatte zu regnen begonnen. Der Himmel war fast schwarz und der Regen wurde im– mer dichter, hie und da schlugen ein paar Hagelkörner in sein Gesicht. Er überlegte, ob er nicht besser hier in der warmen, trockenen Hütte war– ten sollte, aber er konnte sich nicht ent– schließen, undwährend er noch immer überlegte, war er schon auf dem Weg zurück zur Lavaredohütte, zum Zelt. Die Südwände derDreiZinnenwaren jetzt düster und grau und naß, und Ce– sare hatte plötzlich kein Verlangen mehr, diese schaurigen Abbrüche zu durchsteigen. Am frühen Nachmittag wäre er noch zu jederTour bereit gewe– sen, aber jetzt nahm er sich vor, in den nächsten Tagen durch keine schwieri– genWände zu klettern, vielleicht nur zu wandern. Er dachte auf einmal an die Gefahr, und er dachte: 'Die Eroberung des Unnützen'. So hatte es vor Jahren einmal irgendein großer Bergsteiger formuliert. Jetzt war keine Sonne mehr da oben. Die Luft roch eigenartig, sie stank nach Schwefel. Daran mußten die vom Gip– fel abgehenden Steinlawinen schuld sein. Hagelkörner prasselten auf sei– nen Kopf, und er schützte mit den Handflächen sein Gesicht. Die Geröllhalden und die Wiesen wa– ren von einem zarten, glasigen Film überzogen, von ferne hätte man es für Rauhreifhalten können. Immergröße– re Hagelkörner sammelten sich am Boden, aus dem Regen wurde Schnee. Dann kam alles auf einmal, Regen, Schnee, Hagel, und der scharfe Wind peitschte das gefrorene Wasser in alle Himmelsrichtungen. Cesare konnte nicht mehr aufschauen. Wenn er nur für einen Augenblick den Kopf hob und seine Hände vom Gesicht nahm, dann spürte er den Hagel und den Wind wie tausend Nadelstiche, und sein Gesicht brannte. Als Cesare die erstenDonnerschläge hörte, als das heranrollende Gedröhne immer lauter wurde und die ersten Blitze grell aufzuckten, kurz und sche– menhaft denWeg ausleuchtend, war er wieder unter der kleinenKapelle ange-

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