Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1990

Sein größter Coup Eine Kriminalgeschichte von Marcel Valmy Beamten sagtmannicht nur ein gesi– chertes, sondern auch ein leichtes und bequemes Leben nach. Was Kommis– sar Lemaire anbetraf, so hatte er es in seiner wechselvollen Laufbahn nur ein einziges Mal wirklich leicht und be– quem gehabt, allerdings - und darin zeigt sich die Ironie des Schicksals, lan– dete er dabei auch seinen größten Coup. Es trug ihmeine Beförderung so– wie das Kreuz der Ehrenlegion ein und verdient, in den Annalen der Kriminal– geschichte festgehalten zu werden. EinBergungsunternehmenhatte da– mals vor der Kanalküste aus dem Wrack eines im zweiten Weltkrieg ge– sunkenen Schiffes einen Safe gebor– gen, der Gold, Diamanten und für eine Million Pfund Banknoten enthielt. Der Stahlbehälter war jedoch völlig verro– stet, die Fachleute warnten, daß bei unsachgemäßem Öffnen des Safes zu– mindest die Geldscheine zerstört wür– den; also sah man sich nach einem ge– eigneten Spezialisten um. Aber es wollte sich keiner finden. Die gewiegte– sten Techniker machten ein bedenkli– ches Gesicht und lehnten für den wert– vollen Inhalt jede Verantwortung ab. Schließlich wandte man sich hilfesu– chend an die Pariser Polizei, der ja die einschlägigen Tresorspezialisten be– kannt sein mußten; Kommissar Le– maire gab die lakonische Antwort: „Das kann nur einer: Mein Freund Julot!" Jules Godet hatte in Melun dank der Wachsamkeit des Kommissars zehn runde Jahre abgebrummt,nachdemer sich ein halbes Jahrzehnt erfolgreich als Geldschrankknacker betätigt hatte. SeitseinerEntlassungbetrieber zusammen mit seiner Freundin Dodo eine unscheinbare Kneipe in der Ge– gend des Montmartre und führte durchaus das Leben eines reuigen Sün– ders, der seinen Talenten abgeschwo– ren hat. „Julot kriegt das hin", sagte Lemaire jovial. ,,Der Junge hat seinerzeit als Aktiver die kompliziertesten Tresore geschafft. Er ist ein Künstler auf seinem Gebiet. Ich schätze, es wird ihm Spaß machen, so einen Behälter ein– mal imAuftrag der Polizei zu knacken. Jedenfalls eine reizvolle Aufgabe für einen Könner, und schließlich auch noch gegen sicheres Honorar!" Und damit hatte er schon den Hörer abgenommen und die Nummer ge– wählt. Es meldete sich eine Frauen– stimme. „Bist du's Dodo? Hier euer Freund Lemaire. Ist Julot in der Gegend? Nicht momentan? Bien. Hör zu, mon poulet: Sag ihm, er möchte sofort zu mir rüberkommen. Ich hab was Tolles für ihn an der Angel, er wird daran seine Freude haben? Julot ist sauber, sagst du? Ich zweifle nicht daran, mon bijou, aber ich muß ihn trotzdem spre– chen. Die Sache ist dringend. Na gut, kürzen wir das Verfahren ab: Ich kom– me zu euch! Dann begießen wir die Sa– che mit einem Apero. D'accord?" Der Kommissar legte den Hörer mit einem nachdenklichen Schmunzeln auf, das nur für Eingeweihte zu inter– pretieren war. Irgendetwas an Dodos Reaktion hatte ihn stutzig gemacht. Deshalb nahm er vorsichtshalber sei– nen Assistenten Wilson und zwei ver– fügbare Inspektoren gleich mit. Als sie vor der Bar 'Au canon d 'or' ein– trafen, was bekanntlich „Zur goldenen Kanone" heißt, ließen Julot und Dodo gerade hastig die Rolläden herunter. Direkt davor wartete ihr Wagen mit laufendem Motor. ,,Hallo, ihr Lieben!" rief der Kom– missar, während Wilson blitzschnell den Zündschlüssel in dem bereitste– henden Auto abzog und die beiden an– deren Inspektoren das eilige Pärchen freundschaftlich in die Mitte nahmen. „Wie finde ich denn das? Ichwill Julot einen ehrlichen Job verschaffen, und ihr zwei Süßen zieht es vor, ohne Ab– schied zu verduften?" Julot und Dodo ließen entmutigt die Köpfe hängen, und Dodo schob sogar kooperativ den Rolladen wieder nach oben. 41

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