Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1990

alterMann in einem schwarzenMantel auf, der wie ein Alchimist aussah. ,,Was wollen's denn?" fragte er un– gnädig. Ich fühlte mich sogleich als Eindringling, beileibe nicht als Kunde, und stammelte meinenWunsch, ängst– lichdaraufbedacht, dasWort „Terrine" zu gebrauchen. Der Alte zündete hier– auf eine Kerze an und bedeutete mir stumm, ihm zu folgen. Durch einen fin– steren Gang gelangten wir in ein matt– erhelltes Magazin, wo auf Wandbret– tern Unmengen von Küchengeschirr standen. Der Magier, wie ich ihnheim– lich nannte, wies mit ausholender Ge– bärde in die Runde undmurmelte: ,,Su– chens ihnen aus was sie brauchen!" Das war meine dritte Enttäuschung, denn ich sah überhaupt kein Eßge– schirr, und schon gar keinen Sup– pentopf. ,,Ich sehe, daß hier keine Terrine da– bei ist, wie ich sie brauche", meinte ich schüchtern. Der Greis blickte mich durchringend an, schüttelte den Raub– vogelkopf, blies verächtlich durch die Nase, nahm seine Kerze wieder in die Hand, und wir kehrten durch den fin– steren Gang zurück in de~ Laden. „Da hätt' ich ja gar nicht nach hinten rennen brauchen", erklärte der Alte mißmutig, ,,das nächste Mal gehn's · gleich ins richtige Geschäft!" Wieder stand ich auf der Straße, nahe daran, aufzugeben. Doch dann beschloß ich, bis zum Hauptplatz vor– zudringen, wo ich alsbald eine sehr schöne Geschirrhandlung entdeckte. Ich holte tief Atem, nahm allenMut zu– sammen und trat ein. Sogleich scholl mir zweistimmig eine überschwengliche Begrüßung entgegen: ,,Guten Tag! Küß' die Hän– de, gnädige Frau. Was ist angenehm, womit können wir dienen, liebe junge Dame?" DieserEmpfangwarBalsam auf mein wundes Gemüt. Erwurde mir von zwei weißbeschürzten Wesen, mit glattgescheiteltem rötlic)J.em Haar und strahlenden Mondgesichtern dar– geboten. Offensichtlich waren es Zwil– lingsschwestern. Erleichtert brachte ich mein Anliegen vor: ,,Ich brauche 40 einen weißen Suppentopf, besser ge– sagt, eine Suppenterrine aus Porzel– lan. Ich habe meine beim Auspacken zerbrochen,wir sind erst kürzlich hier– her übersiedelt. Ein Einzelstück mitt– lerer Größe soll es sein. Es macht aber nichts, wenn sie keine haben," fügte ich hinzu, voll Angst, ich könnte diese gu– ten Feen durch meinen ausgefallenen Wunsch verstimmen. Die beiden sahen mich gerührt an; dann tauschten sie bedeutungsvolle Blicke miteinander und die eine sagte: „Du weißt, Lina, was die junge Dame will?" ,,Natürlich, Mina," erwiderte die an– dere und verschwand, mir versi– chernd, daß ich bestens bedient wür– de. Bald kehrte sie zurück, einen rundli– chen Gegenstand unter der Schürze verbergend. Erleichtert folgte ich ihr zum seitlichenVerkaufstisch,während sich ihre Schwester einem neuen Kun– den zuwandte. Lina sah mich verschmitzt an, zog langsam ihre Schürze zur Seite und präsentierte mir . . . einen . . . Nachttopf! ,,Wir haben natürlich gleich ge– wußt, was die junge Dame meint. Aber es ist ja so schwer, das Ding beim rich– tigen Namen zu nennen," flüsterte sie mfr vertraulich ins Ohr, ohne meine Erstarrung zu bemerken. Dann be– mühte sie sich, das Nachtgeschirr möglichst diskret und bruchsicher zu verpacken. Nachdem ich eine recht ansehnliche Summe für das überflüssige Ding be– zahlt hatte, nahm ich es unter den Arm und floh auf die Straße. Beim Hinaus– gehen erspähte ich in einer Ecke des Schaufensters - welche Ironie des Schicksals - eben solch einen weißen, schlichten Suppentopf aus Porzellan, wie ich ihn gebraucht hätte. Doch erst Wochen später getraute ich mich wieder in die Stadt, um ihnzu erstehen.

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