Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1990

ziger", setzte er leise hinzu. ,,Ich weiß nicht einmal, wo er begraben liegt." Ich war nahe am Weinen. ,,Du wirst schon wieder zurückkom– men, wenn es bei dir auch so käme", sagte er. ,,Aber du mußt wissen, daß meine Frau durch den Soldatentod un– seres Sohnes alle Lebenslust verloren hat und zuletzt daran gestorben ist. Und da stehe ich nun allein da!" Unwillkürlich schmiegte ich mich an ihn an. ,,Ja", sagte er, ,,du bist ein guter Bub." Darüber sind die Jahre vergangen. Und eines Nachts träumte mir, daß ich wieder, wie damals, vor der großen Glastür des Ateliers unseres Schnei– dermeisters Ehgartner stand. Es war wie früher, da ich das Matrosengewand angepaßt erhielt. Ich drückte auf den Klingelknopf, es klingelte hinter der Glaswand, Schritte näherten sich der Tür, die sich auch sogleich öffnete, und auf der Schwelle stand der alte Meister Ehgartner, wie ich ihn immer im Ge– dächtnis bewahrt hatte. ,,Sie wün– schen?" fragte er. Erhatte sichüber die vielen Jahre hin nicht verändert. Ich zögerte mit einer Antwort. ,,Bitte, treten Sie doch ein!" sagte er. Meister Ehgartner schloß die Tür, wir gingen durch den Vorraum nach dem Atelier. Auch darin hatte sich nichts geändert. Plötzlich sah mich der Meister län– ger an und sagte langsam: ,,Mir scheints, Sie waren einmal bei mir. Ich habe Ihnen (und mit einemmal platzte heraus) einen Matrosenanzug ange– messen. Ja, ja", rief er, Sie sind der jüngste Sohn des Polizeiinspektors Watzinger. DaswareinMann! Ein biß – chen barsch manchmal, schneidig, ja. Wie er einmal um Mitternacht einen MördervonderBahnabgeholthat! Die Leute hatten davon erfahrenundwaren mit großen Schlüsseln undMessern be– waffnet vor dem Bahnhof versammelt und zeigten ihm, wie sie den Kerl züch– tigen würden. Aber er ließ das nicht zu und brachte das Scheusal ohne weite– res ins Spinnhaus in der Berggasse. Ja, so ein Mann war er! Befehl ist Befehl! Mein Gott, Sie sind der Karl! Die Zeit vergeht. Sie sind jetzt nicht mehr viel jünger als ich. Ich bin in meinem Alter stehen geblieben. Könnten wir da nicht 36 Du zueinander sagen? Der Karli! Von wo kommst denn du her?" ,,Herr Ehgartner ..." begann ich, aber rasch verwehrte er es mir, weiter– zusprechen, ,,nix Herr Ehgartner. Für dich bin ich der Sepp! Der alte, alte Sepp, ja." ,,Herr Ehgartner", sagte ich trotz– dem, ,,wie geht es Ihnen,~• und verbes– serte mich dann schnell: ,,Wie geht es dir? Verändert hast du dich gar nicht!" Und ich setzte hinzu : ,,ImGegensatz zu mir!" ,,So", · entgegnete er verwundert. ,,Gar nicht verändert hätt ich mich, sagst du? Weißt du, mir geht es noch immer wie einem Hund auf drei Haxen." Veronika Handlgruber-Rothmayer NOCTURNO Stunde, im Träumen verblaßt, da du dein Antlitz lächelnd über das meine geneigt. Nacht wuchs zärtlich. Der Gast Schlaf blühte sanft auf den Lidern. Spur, die das Leid verschweigt. Wohl dem erlösenden Wort, das deiner Lippe Verzückung an die Sekunde vertan. Wind trug es heimlich fort. Harft nicht im All noch sein Echo sternenwärts? Gott sah uns an.

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