Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1990

UNTERHALTUNG Der alte Schneidermeister Josef Ehgartner Eine Geschichte von Carl Hans Watzinger Ist es nicht ganz einfach, sich in einem Schneidermeister von einst hin– einzudenken? Mitnichten! So verhielt es sich auch bei dem Schneidermeister Josef Ehgartner in der alten Eisen– stadt Steyr in Oberösterreich. Er ist schon lange tot. Aber neulich habe ich von ihm geträumt. Zuvor hatte ich im „Steyrer Kalender" des Jahres 1915 seine große Anzeige gelesen, sie nahm eine halbe Seite ein, war doppelt um– rahmt und ihr Wortlaut hieß so: Große silberne Medaille Steyr 1884 Ehrendiplom Steyr 1905 Goldene Medaille Steyr 1908 ZIVIL- U. UNIFORMSCHNEIDER, STEYR, ENGE GASSE 11, ECKEHAUS REGIMENTSSCHNEIDER desK. u . K. 42. FELD'KANONEN'REGIMENTS empfiehlt sich zur ANFERTIGUNG ALLER ARTEN HERRENKLEIDER, MILITÄR- und BEAMTENUNIFORMEN sowie PRIESTERKLEIDER unter Zusicherung der aufmerksamsten Bedienung Gegründet 1875 Gegründet 1875 Darüber bin ich eingeschlafen, ich gestehe es zu meiner Schande. Aber ich hatte einen anstrengenden Tag hinter mir und wollte eigentlich schon früher schlafen gehen. Da schenkte sich mir ein wundersamer Traum. Ich war wie– der ein siebenjähriger Bub und ging an der Seite meines Vaters zum Schnei– dermeister Ehgartner in der Engen Gasse in Steyr, meiner Heimatstadt, ichmußtemirdenallenBubenverpaß– ten Matrosenanzug anmessen lassen. Der ·schneidermeister Ehgartner war einer der besten, ja der geschicktesten 3 Schneidermeister von Steyr. Zuerst hatte er sein Atelier im Hause Stadt– platz 9 gehabt, in diesem prächtigen Renaissancehaus, das dem Michael Meditz gehörte. Der war als sogenann– ter Krainer mit Hangekorb vor dem Bauch in die alte Eisenstadt gekom– men und hatte bald, man bedenke, es war die tolle Werndl-Zeit, ein Geschäft mit zwei Auslagen, und zuletzt kaufte er das herrliche Haus, jedoch wohnte er in einer kleinen Villa im Viertel Jägerbergweg, das damals noch zu St. Ulrich gehört e. Ehgartner aber dürfte es im so prächtigen Haus am Stadtplatz auf die Dauer nicht getaugt haben, vielleicht war ihm auch die Miete zu hoch, er zog in das Haus der Rosa Ecke. Der Arbeitsraum des Schneiders, das sogenannte Atelier, war überaus geräumig. Seine Fenster lagen über dem Ennskai. Der Meister sah von da sogar noch das Wasser des Steyrflus– ses in die Enns münden, und sonst im Jahr vergoldete sich ihm bei klarer Sicht die Gegend ringsum. Der Schnei– dermeister war schon alt, aber noch sehr wendig, als er mir den Matrosen– anzug anmaß. Ein sieben- bis zehnjäh– riger Bub war, das sei noch vermerkt, kein angezogener Mensch an Sonn– tagen, wenn er sich nicht in einem Matrosenanzug gekleidet in der Öffentlichkeit zeigte. Meister Ehgartner war meinem Va– ter kein Fremder. Schon meine beiden viel älteren Brüder Fritz und Hans hatte er, da sie das Einjährigen– Freiwilligen-Jahr ableisteten, die übli– che Extramontur geschneidert, er war ein ausgezeichneter Uniformschnei– der, oft waren seine Uniformen fast zu knapp gefertigt. Aber umso fescher sa– hen darin die jungen Soldaten aus . 33

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