mich zu vernichten. Jetzt glaubst du ihn zu haben - aber du irrst dich! Ich rufe Papst Leo zum Schiedsrichter an und fordere freie Straßen für meinen Boten!" Karl der Franke sprach laut und langsam: ,,Ich erkläre denKönigsbann über dich, Feind des Frankenreiches !" Die Richter warteten, bis Karl ihnen zu reden befahl. Dann verkündeten sie: ,,Tassilo, der Feind des Reiches, beging Königsverrat. Die Sühne für Königsverrat lautet auf Tod! " Alle, die anwesend waren in der Halle, schlugen auf ihre Schilde - das bedeutete Zustimmung. Dieses Urteil schlug Tassilo nieder. Er sah Liutbirga, seine Söhne, seine Margarete Gründler: kleinen Töchter. Er fiel auf die Knie, hob die Hände: ,,Karl, wir sindVettern! denk an meine Familie!" Der König blickte nun hart wie Fels. „Wenn das.Reich der Franken in Gefahr ist, müssen Blutsbande schweigen! Führt ihn hinaus; meine Augen vertragen ihn nicht mehr." Auf die spätere Fürbitte des Bischofs von Mainz wurde die Todesstrafe in lebenslange Haft umgewandelt. Auch Tassilos Familie verschwand für ihr Leben lang hinter den Mauern verschiedener Klöster Frankens. Tassilo, Herzog von Baiern, starb in einem unbekannten Jahr als kahl geschorener Häftling in Lorsch am Rhein . Der baierische Königstraum war zu Ende ... Da1 Zünglein an der Waage Ich saß der alten Frau gegenüber und überlegte, wie ich das Gespräch beginnen sollte, das nicht nur den leeren Raum füllte, vie1mehr die persönliche Verbindung herstellte zur Persönlichkeit der Greisin . Meine Welt war eine pulsierende, die mich mitriß , oft gegen meinen Willen gefangennahm, ihre aber die immer wiederkehrende Vergangenheit, der langsame Auslauf eines Lebens, der Blick auf ein nahes Ziel, das ihr doch noch immer in ungewisser Ferne lag . In meiner Unbeholfenheit versuchte ich einen Satz zu prägen, der ungefähr so klang wie : Die Welt von heute ist aus der Waage geraten, das Belanglose zum Wichtigen, das Böse zum .Guten geworden. Da sah mich die alte Frau wie mitleidig lächelnd an und meinte vertraulich, sagen Sie das nicht, liebes Kind, wir sind berufen, das Gewicht in die richtige Waagschale zu legen, damit das Züngleinwieder ins Lot kommt .Das beginnt schon, wenn es uns auch noch nicht bewußt ist, am Anfang unseres Lebens. Wenn ich Sie nicht langweile, möchte ich ihnen gerne, die wichtigsten Abschnitte, die meine Behauptung erhärten, erzählen . 42 Etwas von derWeisheit des Alters lag in diesen Worten, ich war begierig, ihrem Bericht zu lauschen. Die armselige Keusche, in der ich geboren wurde, lag an einer Wiese, umsäumt von Tannengrün im Nordosten und einem Mischwald im Westen . Der Süden gab den Blick frei auf fernes Hügelland, von dem immer milde Luft auf uns zuströmte. So war es kein Wunder, daß an der Holzwand des Ziegenstalles derWein noch reifte und unsere kleinen Äcker noch Früchte erbrachten, die anderswo in dieser Höhe nicht mehr gediehen . Dieses gehäuft Gute mußte mich in meinen ersten Lebensstunden beruhigthaben, dennman erzähltemir später, manmußte mich vorerst schütteln und beklopfen, ummich ins Dasein zu rufen, undmein ersterwi,derspenstiger Schrei kündete, daß ich ein Unbehagen empfand, von der schützenden Wärme des Mutterleibes in die fremde kalte Welt gestoßen zu werden . Doch meine geistigen Kräfte waren noch nicht so erwacht, daß ich dies im Bereich der Erinnerung erfaßt hätte. Das erste, was meinem Gedächtnis erhalten blieb, ist der Laubsack, auf dem ich in unserer schwarzen Küche lag, wäh-
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