Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1989

wieder die steilen Steinstufen in den Klosterturm emporstieg. - Als die Awarenreiter die Furt des Kremsflusses plantschend durchwateten, sah einer im Dickicht des Ufergestrüpps spähende Augen auf sich gerichtet . ,,Wir sind beobachtet!" zischte er leise dem Oberst zu. ,,Wenn wir vorüberreiten , von den Pferden springen und ihn einkreisen, ist er unser! " Der Oberst blickte ebenfalls hinüber - das Gesicht imDickicht war fort. Er hatte bereits zugestimmt. Doch bevor sie absaßen, rief er ab. ,,Wir haben vielleicht Schwierigkeiten, wenn wir den Spion erschlagen. Die Waldrücken von Vindobona sind noch zu fern. Laß sie spionieren. Der Vertrag ist einen gewonnenen Krieg wert!" Die Awaren blickten sich nicht mehr um, als sie durch das Niemandsland nach Osten ritten. - - Zwei Mondnächte nach dieser Be - gegnung überbrachte ein Königsbote Karls die Einladung an den Baiernherzog zu einem Ritt an den Rhein in die Königspfalz Ingelheim. ,,Was bedeutet sie?" fragte erLiutbirga überrascht . Auch sie las die Botschaft. Sie war in einem Stil abgefaßt, der eine Einladung an denVerwandten, aber auch ein Befehl des Königs sein konnte. Die Herzogin wurde ein Unbehagen nicht los. Von Karl dem Franken kam für die Baiern selten Gutes. Wenn es nichts Schwerwiegendes war, wünschte er wieder eine Bestätigung des Vasalleneides. Vasall - ein bitteres Wort! ,,Du kannst die Einladung nicht ab - schlagen!" sagte sie. ,;verschiebe sie wegen eines Klosterbaues in Karantanien, der die Missionierung der Slawen vorantreiben soll. Diese liebt er. Inzwischen laß auskundschaften, was die Einladung bedeutet." Tassilo war schon halb und halb für diesen Rat. Zuletzt schüttelte er den Kopf. Ich fürchte mich nicht vor meinem Vetter! " An einem düsteren Wintertag reiste er von Ötting am Inn, wo er den Winter in der Herzogspfalz zubringen wollte, nach Ingelheim. Die Königspfalz lag unterhalt der Mündung des Mains in den Rhein. Liutbirga und seine Söhne 40 und Töchter begleiteten den Herzog. Die ganze Reise war wie einBesuch bei einem - allerdings sehr hohen - Verwandten angelegt worden. Eine Woche später trug ein Fährschiff die Herzogsfamilie über den Strom, der Eisschollen auf seinen Wogen trug . Es war sehr kalt in diesem Winter des Jahres 788. Auch König Karl hatte sich in Burgung unterwegs befunden und war erst vor zwei Tagennach Ingelheim zurückgekehrt. In den offenen Feuerstellen der weitläufigen Königsburg brannten Tag und Nacht die Buchenhölzer, um die kalten Mauern zu wärmen und die großen Räume wohnlicher zu machen. Schon am zweiten Tag nach der Ankunft ließ der König den Baiernherzog in die große Beratungshalle rufen . Tassilo dachte an einConsilium, eine Beratung aller Vasallen des Königs. Schweigen lastete über der Halle, als Tassilo eintrat. Er kannte die meisten der Herzoge und Grafen, die rechts und links die Wand entlang standen. Er grüßte leicht nach allen Seiten, während er bis-vor den etwas erhöht aufg_estellten Sessel des Königs trat. Die Gesichter blieben versteinert; keiner dankte für Tassilos Gruß. Was bedeutet dieser Empfang? Plötzlich fror es den Herzog bis ins Mark. Er stand jetzt vor Karl, stockte einen Augenblick, ging nach dem Zeremoniell am fränkischen Hof in die Knie. „Mein König du hast mich gerufen!" Erwartete, daß der König ihm aufzustehen befahl. Nichts geschah. Als Tassilo diese Situation unerträglich geworde war, sprang er empor. ,,Was bedeutet dies, Vetter Karl?" fragte er scharf und laut, daß alle in der Halle es hören mußten. „Führt ihn hinaus von mir!" befahl der König. ZweiWächter sprangen herzu, faßten Tassilo an den Schultern. Er • stieß sie mit einem Fluch zur Seite. „Ich weiche keinen Schritt, bevor ich nicht Aufklärung bekomme!" schrie er heftig. Das Gesicht des Königs lief rot an. Er schnellte aus seinem rotsamten ausgeschlagenen Königssitz empor und hob

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