Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1988

FRANZ BRAUMANN: Unternehmen Paraguay Erlebnisse eines Tiroler Missionärs im Jahre 1689 nach seinem im Jahre 1710 in Ingolstadt erschienenen Tagebuch über die Reduktionen in Paraguay ,,Sieh, was dorthinterderFlußkrümmungherauftaucht! ", rief ich, denn ich erkannte ein Gewimmel vonMenschen auf dem Ufer vor uns . Und dann hörte ich das Seltsamste, das mir mitten im Urwald begegnen konnte: Es läuteten Kirchenglocken! Unsere Flöße auf dem Rio Uruguay, die bisher stets hintereinander gelenkt worden waren reihten sich nun nebeneinander auf. In einem breiten Halbkreis steuerten alle sechs Boote zugleich auf das Ufer zu. Das sah aus, wie wenn unsere Floßflotte das Ufer mit den vielenHundert wartenden Indianern angreifen wollte. Während der immer noch unsichtbaren Reduktion, dem großen Indianerdorf, her weiter die Glocken zu hören waren, und die Trompeten der Indianer mißtönig schmetterten, stießen unsere Flöße fast gleichzeitig auf den Sand des Ufers. Die dichte Reihe der Indianer öffnete sich, laute Rufe eines Wächters waren zu hören, mit einem erstaunlichen Gehorsam brach sofort alles Geschrei ab. Nur etliche Kinder schrien noch fort, bis ihnen die Mütter auf ihre Mäulchen schlugen. Ein Pater, nicht alt, nicht jung, schritt die Uferstufen herab, die in hartemLehm gestochen waren. Er blickte uns elfMissionare unschlüssig der Reihe nach an, welchen sollte er als ersten begrüßen? Er fing bei mir an - vielleicht nur, weil ich mit meiner Körperlänge alle anderen überragte. ,,Jopean, jopean, willkommen, Brüder!" rief er fröhlich, lief auf mich zu und preßte mich an sein Herz, wie es spanischer Brauch ist. Es gelang ihm nicht ganz leicht, weil er um so vieles kleiner war, daß sein Kopf unter meinen Achseln verschwand. ,,Wilkommen in der Reduktion 'Heilige DreiKönige'! Morgen trifft auch der Pater Superior aus der Reduktion 'San Ignacio' ein. Er wird jedenvoneuchindiefürihn vorbestimmte Reduktion als 'Vater' einsetzen." Diese Mitteilung gefiel mir sehr. Ich spürte darin die feste Ordnung, ohne die nie etwas Großes gedeihen kann. Ein Wink des Pater Isidor, dann rannten schon die Wächter mit ihren Bambusstöcken herbei, die sie waagrecht vor sich hielten, um die Neugierigen damit zurückzudrängen. Den Uferhang hinauf entstand eine breite Gasse. Oben erwarteten uns die Indianer völlig schweigend. Der fremde Dunst vom Laufen erhitzter Körper schlug uns wie eine Woge entgegen. Mir schwindelte, und ich schloß einen Moment die Augen. Unsichtbar dröhnten aus der Feme Glockenschläge und Wirbel der Trommeln weiter - wohin waren wir aufeinmal geraten? Als sich die Menschenmauer auf der Anhöhe öffnete, sahen wir vor uns ein ungeheures Dorfliegen: die Reduktion „Heilige Drei Könige". Der hohe Turm der Kirche, Lehmhäuser und Strohhütten fielen mir zuerst auf. Ich konnte mich nicht enthalten auszurufen: ,,So groß ist dein Dorf, Pater Isidor!" Der Angesprochene nickte stolz. Es wird nicht mehr lange mein Dorf sein, morgen wird einer von euch zum 'Vater' dieser Reduktion bestimmt." Er blickte mit forschend schärfer ins' Gesicht . ,,Deine hellen, blauen Augen deuten auf einenMenschen aus Alemania. Bist du vielleicht der Padre aus Tirol?" 43

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