Werner Herden hatte seine StaJfeIei aufgebaut. Wie soll ich mich stellen, Werner? Wie willst du mich malen?" fragte Vera Molden mi t zärtlicher Stimme . Sie verstand das Lächeln nicht, das um seinen Mund glitt, aber sie freute sich darüber, weil sie es für ein Zeichen von Versöhnung nahm. „ Wie du willst", entgegnete der Mann. Du kannst sitzen oder stehen, uur ansehen mußt du mich. Ja .. so . . . voll ansehen." Er hatte schon Farben auf der Pa,- lette gerührt, setzte Strich auf Strich, wischte, setze neue Farben auf. Die schöne Frau rührte sich nicht . Wie lange wirst du brauchen um mein Bild zu vollenden", fragte sie ihn nach einer längeren Pause. ,,Nicht allzu lange !" wich er aus. ,,Und nachher wirst du mir Antwort geben, so wie du es mir versprochen hast?" ,,Gewiß!" Die Sonne stand auf Mittag und sa,ndte ihre heißesten Strahlen herab. Lene nahm das Körbchen mit dem Essen auf, das sie Werner jeden Tag zu bringen pflegte. Ihre Füße wollten sich nur .schwer vom Boden heben. Der Weg, der am Abend ilnn1er so kurz war, wenn es nach Hause ging, war heute unerträglich lang. Seiit 1876 Ihr He-imatblatt für Steyr und Umgebung 5teorerleitung 46 ,,Komm her, Lene," lächelte Werner, als sie hinter einem Wacholder versteckt stand und. nicht den Mut fand, hervorzutreten. ,,Komm nur, du stötst nicht mehr, das Bild ist vollendet." ·,,Das Bild ist vollendet?" sprang Vera Molden auf. ,,Darf man es sehen?" ,,Gewiß !" lächelte Werner Herden. ,,Ihr dürft es beide sehen." Lene warf nur einen Blick darüber und sah dann jäh zu dem Mann auf . ,,Wie gemein!" zischte eine Stimme neben ihn en. Vera Moldeu wandte sich brüsk um und ging schimpfend davon. „Das war meine Antwort'" rief ihr der Mann nach und zog Lene in seine Arme. ,,Werner!" ,,Jetzt bin ich frei! Endlich frei! Id1 habe mir das letzte Gefühl von der Seele gema,lt. Sie ist im rechten Moment gekommen, um mir Modell zu stehen." Und das Mädchen mit sich zieh end trat er noch einen Schritt näher an das · Bild heran , das ein Mensd1enpaar in blühender Landschaft zeigte. Der Mann hielt das Mädchen stark und trotzig in semen Armen. Unter dem harten Tritt seines Stiefels wand sich eine Schlange, die vergebens zu den beiden Menschen hochzüngelte. Und diese Schlange trug Vera Moldens Augen. Grünlich schimmernde, fa lsche, lockende Augen. Das wa,r die Kleinigkeit gewesen, die der Maler tagelan g vergebens finden hatte wollen. „Zufrieden?" fragte Werner und hielt Lene, so wie der Mann auf dem Bild sie hielt. ,,Jetzt bin ich frei für dich. Ich habe die Schlange endgültig zertreten." Da lehnte sid1 das Mädchen gegen seine Brust, wie sie es auf dem Bilde tat, zu dem sie ihm gestanden. Und. ihre Augen schauten mit froher ·Zuversicht in die Feme, in der sie die glüddichen Bilder einer gemeinsamen Zukunft sah.
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