Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1985

VON RUDOLF ALBERER Obwohl er nicht mehr gerade der Jüngste war, der Schneidermeister Adam, war er doch immer noch, wie man so sagt, ein recht stattliches Mannsbild, und es gab nicht wenige, die ihm noch freudig zum Traualtargefolgt wären. Er aber hatte sich entschlossen, Junggeselle zu bleiben; ein für allemal. Daher übersah er auch gefließentlich alle diesbezüglichen Anbiederungen der heiratswilligen Evastöchter. Steht doch in der Bibel schon zu lesen, daß es die Eva war, die ob ihrer Eitelkeit auf die List -der Schlange hereingefallen und so für , sich und dem Adam, der seinerseits den Verführungskünsten der Eva nicht wiederstehen konnte, das Paradies verwirkt hatte. Er, der Schneider Adam, wollte sich sein Paradies durch keine Eva ·zerstören lassen. Sein „Paradies" war ein nettes Häuschen inmitten eines lieblichen Wiesenfleckes, umstanden von einer Anzahl Bäume, und durchflossen von einem flinken Bächlein, das munter am Häuschen vorb'eigluckste und raunte. Hier in diesem „Paradies" lebte er seit dem Tode seiner Mutter ganz allein; beschaulich und zufrieden. Was er für sein , bescheidenes. Leben brauchte, brachte ihm sein Handwerk reichlich ein. Er wußte, daß ihn die Menschen im Dorf nicht verstanden und ihn als Sonderling betrachteten, aber das berührte ihn nicht. Er hatte ja eine Menge Freunde - nicht unter den -Menschen, da waren sie sehr dünn gesät, aber unter den Tieren rund um sein Häuschen, auf den Bäumen und am Bach: Da hüpfte, flatterte, sa.ng und zwitscherte es von früh bis spät. Wenn er so am offenen Fenster werkte, da kamen all die Finken, Meisen . und Eichhörnchen ganz 40 nahe heran •und holten sich vom Fensterbrett die ausgelegten Leckerbissen. Nach Feierabend waren es dann die Bücher, derer er im Laufe der Zeit eine beachtliche Zahl zusammengetragen hatte, in denen er las, und die so zu seinen besten Freunden· wurden. Datum, eine Frau im Ha,us, die brauchte er nicht - jetzt nicht mehr! Freilich, immer hatte er nicht so gedacht: Damals zum Beispiel, als er noch ein junger Schneidergeselle war, . da l;tatte er sich eines Tages Hals über Kopf in ein Mädchen namens Sabine verliebt. Sie war ja auch lieblich und schön. Aber bald mußte er erkennen, daß Sabine nicht nur '.schön, sondern a1uch recht flaltterhaft und rechthaberisch war. Durch diese Enttäuschung ,seiner ersten Liebe war er allen Mädchen gegenüber recht mißtrauisch geworden und lebte, auch als er längst Meister geworden war, mi_t seiner Mutter allein draußen vor dem Dorf. · · Nach dem Tod seiner Mutter lernte er das Fräulein Margit kennen. Dieses war ein ruhiges, nettes Mädchen, gleich ihm ·a,llen Natürlichell' zugetan; war ebenfalls Schneiderin, nur war sie in einer Kleiderfabrik be&chäftigt und lebte bei ihren El-. tem in der Stadt. Als Adam sie nach einer Zeit fragt~, ob sie seine Frau werden wolle,. - sagte sie freudig zu. Nur - so fügte ·sie hinzu - in seiner Abgeschiedenheit wolle sie nicht leben, er müsse· da schon zu ihr in die Stadt ziehen, es gab da ja auch eine viel bessere_ Verdienstmöglichkeit. Diese Bedingung hatte Adam schwer getroffen, und er bat sich:. Bedenkzeit aus.

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